Auseinandersetzung mit der Geschichte
Als zentraler Schauplatz der regionalen Geschichte ist die Moritzburg auch für die aktuelle Kunst kein neutraler Bau, sondern eine wichtige inhaltlich-thematische Bezugsgröße. Der Luthermythos und die Reformation als frühes Medienereignis sind Ansatzpunkte für eine Postkartenedition und eine Lichtprojektion von Dagmar Varady-Prinich. In einer Art "Moritzuniversum vereint Moritz Götze subtile Selbstinszenierung und Rückbesinnung auf den Namenspatron der Burg. Ausgehend vom Festungscharakter des heutigen Museums beleuchtet Martin Braun die Relikte von 500 Jahren Sicherheitsbedürfnis, während Andreas Freyer mit einer farbigen Dachkrönung die frühere militärische Abwehrhaltung in eine Einladung zum Kunstbesuch umkehrt. Der Fotograf Hans-Wulf Kunze reagiert mit subtilen Fotos von Spuren menschlicher Nutzung ihrer Umwelt auf einen Ausstellungsraum, dessen Äußeres ebenfalls reich an Nutzungsspuren ist.
Kontext Museum
Seit Anfang dieses Jahrhunderts dient die Moritzburg als Museum und Gemäldegalerie. Oft leiden ausgestellte Werke jedoch empfindlich unter der historischen Architektur, die den Anforderungen einer Kunstsammlung nicht immer genügen kann. Mit einigen baulichen Provisorien im Ausstellungsraum, der vormals fürstbischöfliches Gemach und später Turnhalle war, befaßt sich eine Lichtinstallation von Johanna Bartl. Ein neuerliches Provisorium, nämlich ein anläßlich dieser Ausstellung im Innenhof aufgebauter Container, verweist auf jenen klassischen Typ von Museumsraum, der in der Moritzburg fehlt: den White Cube.
In seinem Inneren thematisiert Erich Reusch die Notwendigkeit und das Scheitern künstlerischer Utopien. Visionär in diesem Sinne war auch der Versuch der klassischen Avantgarde, die Barrieren zwischen Kunst und Lebensalltag endgültig zu überwinden. In diese Tradition stellen sich Thomas Leu, der mittels einer "Spurwechselbeleuchtung die Straße ins Museum umleitet, und Klaus Völker, der kunstgeschichtliche Theorie als exotische Leckerbissen in seinem "Sauerland-Imbiß verabreicht. Die museumstypischen Praktiken des Sammelns und Ordnens schaffen eine eigene Bildhaftigkeit, die Coco Kühn in einer Fotoserie festhält.
Der sensibilisierte Blick auf das Bild
Die ab dem Jahr 1913 einzigartige Aufnahme der expressionistischen Malerei in das Museum war Ausgangspunkt für eine lokale malerische Tradition. Innerhalb der Ausstellung Verlängerte Frohe Zukunft werden in Nachbarschaft zur historischen Sammlung neuere malerische Positionen gezeigt, die in Halle bisher wenig beachtet wurden. Das Tafelbild ist jenseits seiner Abbildhaftigkeit und unabhängig von verschlüsselten Symbolsprachen oder expressivem malerischen Gestus zuerst ein transportables Objekt. Mit dieser Tatsache setzen sich einzelne Arbeiten von Georg Herold und Imi Knoebel auseinander. Auch Zeichnungen von Olaf Wegewitz greifen als objekthafte Gebilde in den Raum ein. In dieser Nachbarschaft erscheinen die Atelierbilder von Otto Möhwald in einem neuen Licht, nämlich als intime Einblicke in die Produktionsbedingungen von Malerei. Ein aufwendiges Sonnenblumenfeld von Ludwig Ehrler geht dem Verhältnis von Bild- und Raumwahrnehmung nach. Typische Sujets der Malerei wie Stilleben oder Landschaft werden strukturell und räumlich erfahrbar. Zwischen den Klassikern des Expressionismus im Kuppelsaal finden die leuchtendfarbigen Vasen von Grita Götze eine Einheit zwischen Bild und keramischer Form, zwischen künstlerischer Tradition und Heute.
Raumerfahrungen
Räume sind stets formal festgelegt und funktional besetzt. Künstlerische Eingriffe könne sie jedoch erneut zum faszinierenden Erlebnis verwandeln. So läßt Ingrid Haufe die Passage einer Treppe zum akustischen Ereignis werden, während Ute Lohse das Publikum in einem ornamentalen Geflecht aus Zeichnungen verfängt. Im historischen Weinkeller werden ungewöhnliche Beleuchtungen von Anne Rose Bekker, eine Installation aus Licht und Glas von Jens Gussek und eine Porzellanarbeit von Judith Runge Anlaß für ein neues Raumerlebnis der gewohnten Umgebung schaffen.
Neue Medien
Elektronische Medien wie Video oder Computeranimationen werden heute ganz selbstverständlich als künstlerische Arbeitstechniken genutzt, um ein breites Themenspektrum zu bearbeiten. Wieland Krause dient das Video als präzises Dokumentationsmittel für seine intensive Archivierungsarbeit. Das Filmmaterial sichert, was in der Realität verschwindet. Fred Fröhlich dagegen beschäftigt das Spannungsfeld zwischen stehenden und bewegten Bildern. Die Filmstils der Zeitschrift TV-Spielfilm unterzieht er einer "re animation, die als Clip in den Werbeblöcken der regionalen CINEMAXX-Kinos zu sehen sein werden. Zwischen Statik und Dynamik von Bildern, zwischen Tafelmalerei und Computeranimation entwickelt Andreas Löschner-Gornau ein verfängliches Spiel mit dem Betrachter. Norbert Meissner ist nicht nur ein renommierter Videokünstler, sondern auch Hersteller von Bild-Präsentationssystemen. Als Kleinunternehmer interessiert er sich für den Status des Künstlers als Dienstleister in einer historischen Perspektive. Der Handlungsspielraum des Künstlers als Designer von Lebenswelten und Lebensgefühl fasziniert Olaf Nicolai. In den Zeitschriften "Vogue, "PARK und "Texte zur Kunst wirbt er für sein Parfüm für Bäume, das er für die Bundesgartenschau in Magdeburg entwickelt hat.
Kunst als Engagement für den öffentlichen Raum
Halles Stadtraum ist gesättigt mit Skulpturen und Wandbildern, die im Alltag aus Gewohnheit nicht mehr wahrgenommen werden. Statt das Konzept Kunst im öffentlichen Raum fortzuführen, ergreifen drei künstlerische Positionen der Ausstellung ein Engagement für den öffentlichen Charakter von Straßen und Plätzen. Für Dagmar Schmidt sind zwei manipulierte Fernrohre, die auf der Oberburg Giebichenstein in Halle und im Umfeld des Kunstmuseums Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg aufgestellt werden, Ausgangspunkte für die sukzessive Anlegung von öffentlichen Verweilorten. In der Art politischer Plakate präsentiert Olaf Martens seine Fotoserie "Deutsche Klischees an verschiedenen Litfaßsäulen in Halle. Politisch und geschichtlich besetzte Orte sind Schauplatz einer nachdenklichen Selbstinszenierung von Ulf Aminde. Seine Postkarten werden an den einzelnen "Tatorten (Rathaus Halle-Neustadt, Denkmal August Hermann Francke und Moritzburg in Halle, Braunkohlentagebau Bitterfeld) ausliegen.