Kunst ___ Sachsen-Anhalt

Verlängerte Frohe Zukunft

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Verlängerte Frohe Zukunft
(aus dem zur Ausstellung erschienenen Künstlerheft)

"Sie sind über den Buckelweg gekommen? Sie haben recht, früher gab es hier eine Straße, die hieß genau so: "Verlängerte frohe Zukunft." Die Wirtin in der Gaststätte Eintracht sah sich kurz in ihrem am Vorabend noch nicht sehr gefülltem Haus um. "Aber heute heißt das einfach nur noch "Frohe Zukunft". Diese ganze Gartensiedlung hat beispielsweise die Hausnummer 43, Frohe Zukunft 43."

Der Stadtplan, die 7. Auflage aus dem Jahr 1995 hatte die Änderung noch nicht aufgenommen. "Irrtümer vorbehalten" steht im Kleingedruckten. Aber ist das wirklich ein Irrtum? Zumindest eine der beiden Straßenbahnendhaltestellen in Halle heißt "Frohe Zukunft". Wer sich auf den Weg macht, kommt in eine Gartensiedlung, die aus den zwanziger Jahren stammt. Ihr Name atmet noch die ganze positive Zukunftssicht der gerade von diesem Landstrich weithin ausstrahlenden Kultur: Bauhaus, Thomas Manns Dr. phil Serenus Zeitblom, Bruno Tauts fruchtbare Entwürfe für den Magdeburger Städtebau. In der Verlängerung der Straße schließt sich ein Feldweg durch eine Schrebergartensiedlung an: besonders wenn es heiß ist, schichtet sich ein sehr charakteristischer Geruch aus abgestellten Autos, frischem Grün, den üblichen Sommerdüften und besonders natürlich gegrilltem Fleisch (1).

Die Straße, deren Name nie offizielle Bezeichnung wurde, haben die meisten der 29 beteiligten KünstlerInnen nie besucht. Warum auch: ihre Standorte liegen weit verstreut innerhalb und außerhalb des die Ausstellung ausrichtenden Landes Sachsen-Anhalt. Seine regionalen Grenzen, im unregelmäßigen Viereck zwischen Hamburg und Berlin, Prag und Rhein/Main gelegen, sind für bildende Kunst ohnehin keine Begrenzung: im Gegenteil, interessant wird es für bildende Künstler meist erst dort, wo die regionale Herkunft nicht mehr die erste Frage ist, die gestellt wird (2).

Ein Bezug zum Austragungs-Ort ist dennoch das prägende Element der Ausstellung. Die Moritzburg in Halle ist das zentrale Haus für Kunstvermittlung im Lande. Hier entwickelten Museumsleiter wie Max Sauerlandt oder Alois Schardt Strategien, die internationale Pionierleistungen im Felde der Kunstvermittlung waren. Hier bereicherten Sauerlandts unerhört frühe Ankäufe von künstlerischen Zeitgenossen, die noch nicht durchgesetzt waren, die Sammlung des Hauses. Und erstmals wurde aktuelle Kunst mit ozeanischen Werken konfrontiert, sodaß der Zusammenhang des künstlerischen Denkens mit der Zeitgeschichte klar wurde. Und als ob es ein Zufall wäre: erbaut wurde das Haus im 15. Jahrhundert durch Albrecht von Brandenburg, der als enthusiastischer Sammler kunstvoll gefasste Reliquien für den Sündenablaß in der integrierten Magdalenenkapelle zur Schau stellte und darüber hinaus von führenden Künstlern seiner Zeit wie beispielsweise Albrecht Dürer oder Lucas Cranach ein gedrucktes Verzeichnis seiner Sammlung illustrierten ließ: das Buch vom "Halleschen Heilthum" ist ein früher Vorläufer heutiger Ausstellungskataloge. Aber nicht nur angesichts dieser punktuell markanten Geschichte haben die beteiligten KünstlerInnen heute genug Gründe, sich mit der Vermittlung ihrer Arbeit zu befassen: stärker als früher in eine Randlage der Kultur gedrängt, sieht sich zeitgenössische bildende Kunst der Konkurrenz der dominierenden alltäglichen Bilderflut gegenüber gestellt, mit wirtschaftlichem Effizienzdenken konfrontiert und dem schon traditionellen Vorwurf des gesellschaftsfernen Elfenbeinturmes ausgesetzt. Der Weg ins Museum lohnt also in mehrfacher Hinsicht: hier breitet sich eine Geschichte der Kunstvermittlung aus, hier gibt es den Rückzugsraum, den grundsätzliche Überlegungen brauchen, hier steht der Fülle von alltäglichen Bildern ein gewachsener alter Reichtum von Kunstwerken gegenüber. Und daß ein solcher Ort mit seiner kulturellen Tuchfühlung auch eine operative Basis bildet für gesellschaftliche Anliegen, ist auch schon vor dem Ausbau der Moritzburg zu einem richtungsweisendes Kulturzentrum während der DDR- Zeiten klar gewesen.

Dabei ist es keineswegs einfach, die zeitgenössische Auseinandersetzung um bildende Kunst gerade an diesem Ort konkret zu führen. So trendgemäß aktuell die Vermittlung von Kunst als Thema sein mag: in der Moritzburg tritt dem Künstler eine dominierende architektonische Gestaltung entgegen, bevor er seine eigenen Formen entwickeln kann, und diese Gestaltung ist historisch und in keinem Fall neutral. Sie fordert jedesmal zur Auseinandersetzung heraus: diese Räume schlicht als Ausstellungsräume zu benutzen scheint auch bei hohem Aufwand an museumstechnischer Inszenierung unmöglich. Die Zukunft solcher Räume als Museum ist aber dadurch auch regelmäßig streitbaren Sichtweisen ausgesetzt: als Heimatmuseum (ernsthaft mit historischer Ausstattung oder als nostalgische Rumpelkammer), als Ort, in dem Innovation immer auch gleich Tradition ist, als Mutterschiff aller Provisorien, als Neubau oder schlicht unmöglich. Die Radikalität künstlerischen Umgangs mit dem Raum erweist sich als überaus fruchtbar für die verlängerte frohe Zukunft der Moritzburg.

Mithin verlangt eine so angesetzte Ausstellung nach einer gesunden Mischung künstlerischer Positionen, für die der Umgang mit einem komplizierten Ort eine sinnvolle Herausforderung ist. Im Gegensatz zu anderen größeren Ausstellungen gibt es eine konkrete Aufgabe für das Vorhaben, in welcher nicht eine (im übrigen stets umstrittene) allgemeine Qualität zählt, sondern die spezielle künstlerische Eignung. Daher wird es kaum verwundern, wenn künstlerische Ausdrucksmittel wie die Malerei oder Grafik oder auch die gerade in Sachsen-Anhalt starke angewandte Kunst kein Gegenstand der Ausstellung sind. Diese Felder werden es lediglich mittelbar, über den Umweg des musealen Umfelds, oder sie sind es schon längst, durch ein umfangreiches Vorprojekt, das im Sommer 1998 unter dem Namen TING in Halle stattgefunden hat, und zu dem eine eigene Publikation in Vorbereitung ist.

Ein vorab verteiltes Heft versammelt bildnerisch auf den Punkt gebrachte Ideen der beteiligten KünstlerInnen. Bereits im Vorfeld vermitteln sie einen Eindruck des Dialogs zwischen den Räumen der Moritzburg und der individuellen künstlerischen Sicht. Zugrunde lag das Prinzip, daß die hier versammelten Visitenkarten gleichzeitig informieren und werben können. Sie vermitteln ein Bild, auch wenn man nicht die Ausstellung besucht und gleichzeitig verführen sie, es vielleicht doch zu tun. "Ob Werbung Kunst ist, hängt davon ab, wofür sie wirbt." – so hat Joseph Beuys 1983 einmal über diesen Bereich bildender Kunst befunden. Und schön, wenn sie wirkt - möchte man hinzufügen.

Verlängerte Frohe Zukunft ist der Abschluß eines einjährigen Projekts mit dem programmatischen Titel Kunst ____ Sachsen-Anhalt: In den Räumen der Staatlichen Galerie Moritzburg, dem in Halle angesiedelten Landeskunstmuseum Sachsen-Anhalt, liegt eine Ausstellung dieses Titels und mit zeitgenössischer bildender Kunst nahe: die kulturelle Ausstrahlung des Landes steht heute in Frage, und doch hat sie an der Schwelle zum dritten Jahrtausend alle Möglichkeiten zu einer Zukunft, welche in den reichen Traditionen des Landes wurzelt und in ihren Spitzen weitverzweigte Blüten und Früchte entwickelt.

Johannes Stahl



(1) Die vorstehende Passage durfte freundlicherweise aus dem unveröffentlichten Kriminalroman "Brunnenleichen" des Halleschen Autors Heinz Jotes übernommen werden. Wir danken an dieser Stelle Herrn Ulrich Steinmetzger für den Hinweis auf diese Parallele zum Ausstellungstitel.
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(2) Interessant ist die Diskussion im internationalen Maßstab: Standort Deutschland. Ausstellungskatalog Städtisches Schloss Morsbroich, Leverkusen, 1998
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