Nachricht 1, Dienstag, 10.07 Uhr
Im Telefonbuch stehst Du als Fotograf. Stimmt das mit Deinem Kunstbegriff überein?
Sicher nicht: man wird schnell in eine Schublade gesteckt, nach seinem "Gewerk" gefragt. In meinem Leipziger Diplom steht, daß ich studierter Fotograf bin. Ich habe seit meinem Studium in Halle die Fotografie jedoch immer als ein mögliches Medium unter anderen verstanden, um mich zu reflektieren. Von der anfänglich dokumentarischen Fotografie habe ich mich über den Umgang mit Realität geöffnet und meine Mittel wesentlich erweitert.
Dein Realitätsbegriff scheint mir auch heute der zentrale Bezugspunkt zu sein.
Was auf direktem Weg sinnlich wahrnehmbar ist, ist Realität - subjektive Realität. Es gibt nicht das Medium, sondern immer die Medien. Es kommt immer auf die Inhalte an, die ich umsetzen möchte. Die Medien beziehen sich darauf. Ob ich Objekte sammle, Videoaufnahmen mache, ob seriell oder einzelstückbezogen arbeite, ist konzeptuell bestimmt.
Du hast eben von Sammeln gesprochen, und ich weiß, daß Du eine große Zahl unterschiedlicher Materialien archiviert hast. Was bedeutet für Dich diese Archivarbeit?
Was mich innerhalb eines interessanten Gegenstandes bewegt, geht in mein Archiv ein: Bilder, historische Hintergründe, Texte, Fundstücke, Tonaufnahmen, Videomaterial. Dabei habe ich verschiedene Phasen entwickelt. Grundlage ist die Spurensicherung, in der ich Material zusammentrage. Später sichte, ordne und werte ich das Material. Dann gebe ich ihm eine Struktur. Die Präsentation ist die letzte Stufe. Hier muß ich entscheiden, in welcher Form ich die Arbeit öffentlich mache: als Mappe, als Heft,
als Text, als Ausstellung / Installation, inklusive elektronischer Medien.
Wenn ich Deine Arbeitsweise betrachte, aber auch einzelne Motive, taucht immer wieder der Faktor Zeit auf: im wörtlichen Sinne der Augenblick des Fotografen, in Deinem Motiv der Baustellen, die ja immer eine Übergangszeit zeigen, in der Methode des Archivs, was in sich ja eine geronnene Zeit ist. Gibt es dabei auch die Zukunft?
Ich glaube schon. Für mich gibt es immer ein bruchstückhaftes Herauslösen aus dem Zeitlauf. Meine Arbeiten sind immer seriell miteinander verknüpft als Langzeitprojekte angelegt, räumlich-zeitlich offen. Die Arbeit selbst ist ein Prozeß, aber die Wahrnehmung und die Reflexion auch. Und dieser Prozeß ist Wandlungen unterworfen. Ich bemerkte einmal, daß meine Ergebnisse zu stark vom Einzelnen bestimmt waren. Da stimmte die Methode nicht mehr. Die Methoden müssen sich ebenfalls den Wandlungen anpassen.
Bei Dir taucht häufig als wesentliches Mittel die Sprache auf und schließlich sprechen wir ja auch hier als Vorbereitung für eine Künstlerseite. Welchen Stellenwert hat Sprache für Dich?
Sprache ist für mich wichtig, um Arbeitsprozesse für mich und andere zu klären, nicht als Kunst-Text. Ich habe eine umfangreiche Sammlung von strukturierten Projekten archiviert. Sprache und Text dienen auch als Filter, um Projektarbeit zu aktualisieren und das Material zu konzentrieren. Auf dem Papier, im Rechner entsteht Ordnung. Dabei sind für mich diese Texte auch eine visuelle Hilfe.
Deine nicht realisierten Projekte haben einen besonderen Stellenwert. Künstler werden dagegen oft ausschließlich aufgrund ihrer veröffentlichten Werke beurteilt. Gibt es da einen Konflikt für Dich?
Diese Projekte spielen eine wichtige Rolle. In einem Bereich meiner künstlerischen Arbeit wie beispielsweise Wettbewerben habe ich mir zum Maßstab gesetzt, daß die Beurteilenden merken, daß ich alles gegeben habe, was ich kann. Auch wenn ich einen Wettbewerb nicht gewinne, so verliere ich ihn nicht. Deshalb haben diese nicht realisierten Projekte die Entwicklung meiner Arbeit immer erheblich vorangetrieben. Das ist eine Frage des Anspruchs an mich selbst.
Gespräch Johannes Stahl mit Wieland Krause