Kunst ___ Sachsen-Anhalt

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Ting: Presseberichte


MitteldeutscheZeitung     Sonnabend, 1. August 1998   -   6

Open-Air-Performance

Possenreißer Polizisten und Passanten



MitteldeutscheZeitung     Sonnabend, 18. Juli 1998

Sachsen-Anhalt bereitet Kunstschau vor - Arbeiten im Vorfeld sollen zum Gespräch anregen

Professorin jonglierte mit Zahlen und Leitern



MitteldeutscheZeitung     Sonnabend, 1. August 1998   -   6

Open-Air-Performance

Possenreißer Polizisten und Passanten

"Laster der Nacht" und "Tagesakt" - Mit ihrem alten Lkw machte eine freie Theatergruppe Halles Straßen unsicher

Von unserer Mitarbeiterin EVELYN FINGER

Donnerstag nacht war alles wie immer. Zwei Motorräder schnurrten über die Magistrale, ein später Spieler schlich ins Billard-Cafè, ansonsten schlief Halle-Neustadt friedlich. Und doch tat sich Seltsames: Schlag Zwölf bog an der Feuerwache ein bizarres Fahrzeug um den Block.

Aus dem Heck des alten, hübsch gerundeten Lasters leuchtete ein gelber Lichtkreis, aus zwei Lautsprechern schallten mal harte Beats, mal romantisches Meeresrauschen, und hinter dem Steuer hockten weißgeschminkte Herren mit ziemlich auffälligen Hüten.

Verdächtig aber war vor allem die kuriose Figur auf dem Dach des Magirus-Deutz. Die winkte, gestikulierte und sah mit ihren roten Strümpfen, Pumphosen und wirrem Haar ganz so aus, als kommandiere sie ein straßentaugliches Narrenschiff. Dabei dirigierte die lustige Person nur einige Takte der Ouvertüre zu "Ting: Kunst - Sachsen Anhalt", einem Projekt, das 1999 regionale Kunstszene und potentielles Publikum vernetzen soll. Schauspieler Tom Wolter schlich sich gestern und vorgestern schon mal an die Hallenser ran.

"Laster der Nacht" sollte die erste allgemeine Verunsicherung im öffentlichen Raum sein. Doch in Fahrt kam die müde Improvisation erst, als der Theaterkarren Gas gab, um durch die Straßen zu rollen. Zwar wurden weder Lasterhaftigkeit noch Verderbnis transportiert, wie sie der Titel suggeriert hatte. Aber in der letzten dreiviertel Stunde der zunächst eher autistischen Aktion gab es dann doch reichlich Situationskomik. Mitwirkende: ein violinespielender Schalk, begeisterte Passanten samt Hunden, gutgelaunte Polizisten und eine äußerst verärgerte Oma ("Machen Sie den Krach aus!"), die von Sympathisanten zurechtgewiesen wurde. "Das ist endlich mal was anderes", applaudierte Zuschauerin Annett Honscha, die der mobilen Performance zwei Stunden lang gefolgt war, " schlafen kann man doch immer." Aber ob die Operation "Laster" wirklich massenweise Leute wachmachen wird?

Gestern nachmittag startete "Tagesakt", Teil zwei des öffentlichen Experiments. Ein Schauspieler -Duo schlug am Leipziger Turm eine Baustelle auf, doch nahezu niemand nahm Notiz. Wieso? Weil die Akteure mit Bauhelm, Zollstock und orangefarbener Reflektor-Weste lebensecht ausgestattet waren? Nein. Sondern weil sie zwar ein wenig unbeholfen mit Schildern und Absperrung hantierten, ansonsten aber das Künstliche an ihrem Unternehmen nicht herauskehrten. Immerhin, mit zu-nehmendem Wind ließen Wolter und Kollegen Planen fliegen, verwickelten sich und ihr Fahrzeug, versperrten Fußgängern den Weg. Das letztere ungerührt Eis leckten - demonstrierte das kollektives Desinteresse an der Kunst?

Oder war die inszenierte Störung von ganz normaler Bau-Belästigung einfach nicht zu unterscheiden? Falls ja, dann würde hier Bedeutungslosigkeit kultiviert. Dann würde Verkleidung à la versteckte Kamera zum Artefakt aufgeblasen. "Nicht unbedingt", findet zumindest Joachim Penzel, Pressesprecher des Projektes. "Wir wollen keine Kunstwerke präsentieren, sondern Situationen schaffen, in denen die Künstler spontan auf Unvorhersehbares reagieren können." Ist Ting eine Spielwiese für Artisten? Nein – sondern ein Test, was passiert, wenn Kultur-Angebot und Kunst–Konsum mal "anders als sonst" funktionieren sollen. Vielleicht passiert ja auch gar nichts. Aber so etwas kommt manchmal auch bei den teuersten Theater-Spektakeln vor.


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MitteldeutscheZeitung     Sonnabend, 18. Juli 1998

Sachsen-Anhalt bereitet Kunstschau vor - Arbeiten im Vorfeld sollen zum Gespräch anregen

Professorin jonglierte mit Zahlen und Leitern

Von unserem Mitarbeiter GERO HIRSCHELMANN

"Ting" ist kein neuer Schokoriegel, auch nicht der Spitzname eines Lokalpolitikers oder die neueste Extremsportart.

"Ting" ist Kunst. Im Frühjahr nächsten Jahres will sich das Land als eine der interessan-testen Kulturregionen Europas feiern. Die Ausstellung "Kunst Sachsen-Anhalt" soll laut Katalogtext "brisante Themen und neue Wege der Kunstvermittlung" vorstellen. Und "Ting" heißt die Veransteltungsreihe im Vorfeld der großen Werkschau.

Der ungewöhnliche Name soll laut Pressesprecherin Sabine Reinhard neugierig machen und auch verunsichern: "Zuerst setzt das Wort einen unspezifischen Impuls, dann erinnert es an verschiedene Dinge, zum Beispiel das Geräusch eines Tropfens beim Aufschlag." Eine Peroformance der Künstlerin Lili Fischer und die Gesprächsrunde "Hand - Kopf - Hand" waren am Donnerstag erste Stationen auf dem Weg zum Standort in Sachen Kunst.

Eine "Milchmädchenrechnung" stand zuerst auf dem Programm. Im Weinkeller der Moritzburg empfing die Hamburgerin Lili Fischer ihre Gäste. Der hohe Raum der zu großen Teilen nur mit Sand ausgestreut ist, gibt sich momentan als Baustelle. Zwischen dicken Mauern und tiefen Gräben, nur durch Plastikbänder am Absturz gehindert, harrten die zahlreichen Gäste der Frau Professorin.

Denn Lili Fischer ist nicht nur eine anerkannte Performance - Künstlerin, sondern auch Lehrende an der Kunstakademie in Münster. Verkleidet als Mischung aus Trümmerfrau und Else Kling, zählte sie sich durch das Leben der dargestellten Personen. Munter und ohne Rücksicht auf mathematische Logik jonglierte sie mit Zahlen. Ihrer kruden Denkweise nach geben sieben Knöpfe, dreizehn Tablettenschachteln, ein kaputter Zollstock und "eins im Sinn" eine verpfuschte Existenz.

Als Teenager, reife Frau und Rentnerin erkannte Fischer: man muß anders rechnen, um zum besseren Ergebnis zu kommen. Sie kletterte auf Leitern und addierte einfach neu. Schon war die Situation gerettet. Locker und ohne Anspruch auf Belehrung des Publikums führte Fischer die Absurdität statistischer Erhebungen vor.


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