Catrin
Lorch und Johannes Stahl freeze ! - Anhaltspunkte zu Standbildern aus bewegten Zusammenhängen Lessing, Laokoon „Sind aber ihre Werke gemacht, nicht bloß erblickt, sondern betrachtet zu werden, lange und wiederholtermaßen betrachtet zu werden: so ist es gewiß, daß jener einzige Augenblick und einzige Gesichtspunkt eines Augenblicks, nicht fruchtbar genug gewählet werden kann.“(1) Es scheint, als laste dieser Satz Gotthold Ephraim Lessings wie eine Hypothek auf jedem Bildwerk klassischer Prägung, und als verstärke sich die Forderung noch, wenn es an der Wand mit klassischen Acessoirs der Präsentation wie Rahmen, Glas und Passepartout ausgestattet ist. Die gesamte Tradition des Tafelbilds bringt sich in Erinnerung: die weit entwickelte Unterscheidung zwischen Bildrealität und außerbildlicher Realität, das zum vielbeschworenen „Betriebssystem“ gewordene Verhältnis zu tradierten Darstellungs-, Denk- und Sehgewohnheiten. Letztlich geht es in der Bildenden Kunst darum, das verwendete Ausdruckmittel bestmöglich nach seinen jeweils eigenen Möglichkeiten zu verwenden. Immerhin steht eine Künstlersignatur unter einem Werk für die künstlerische Originalität. Die Überlegung Lessings wirft aber auch ein präzises Schlaglicht auf die Unterschiede zwischen Bildender Kunst und Medienbereichen heute, wo es um die erste Aufmerksamkeit oder den informativen Blick geht. Nicht etwa welches Bild den Hintergrund der Kurzmeldungen im Nachrichtenblock ziert oder welches Werbebild die Aufmerksamkeit des Autofahrers auf der Straße abfängt, sondern vor allem die auch schon von Lessing analysierte Offenheit des Einzelbilds bildet einen wichtigen Richtwert künstlerischer Produktion. Diese Offenheit schafft eine speziell spannungsvolle Abhängigkeit zwischen Zeit und ästhetischer Botschaft. Dazu verhilft beispielsweise auch der Rat Lessings an die Bildenden Künstler, nicht den dramatischsten Moment eines Ereignisses darzustellen, sondern den, an dem der Handlungsverlauf ablesbar ist, das Bild aber als Bild seinen eigenen Wirkungsspielraum behält. Der Unterschied zum Medium des bewegten Bild beim gleichen Künstler, zur interaktiven oder animierten Arbeit ist seinerseits ein spannendes eigenes Ereignis- und Traditionsfeld geworden. Dies gilt nicht nur dann, wenn das bewegte Bild als bekannt vorausgesetzt werden kann und im Hintergrund wirksam ist oder schlicht dieser Zusammenhang behauptet wird. Kreislauf der Wahrnehmung Seit den magischen Höhlenbildern ist Kunst als Prozeß zwischen Künstler, Werk, Betrachter und Welt denkbar. Innerhalb dieses Prozesses ist das Kunstwerk das einzige, was sich nicht ändert. Daher ist dessen festzulegende Form immer erheblichen fachlichen Diskussionen unterworfen gewesen - und konsequenterweise der wichtigste Lehrstoff an Akademien geworden. Wo die Kunstgeschichte sich dieses formalen Aspekts besonders angenommen hat, destillierte sie in der Regel auch einen eigenen Entwicklungsgang der Form, von dem dann alle anderen Faktoren abzuhängen scheinen, die mit dem obengenannten Prozeß zu tun haben. Vielleicht haben deshalb Formen der bildenden Kunst immer wieder in die Struktur dieses Prozesses einzugreifen versucht. Gerade die einschlägig bekannten Medienexperimente in unserer Jahrhunderthälfte sind Versuche, die gedanklichen und gewohnheitsbedingten Verkrustungen der Bildenden Kunst zu ersetzen, zu reformieren oder zumindest aufzuweichen. Zahlreiche der radikalen „Ausstiege aus dem Bild“ seit den fünfziger Jahren drehten an den Faktoren Zeit, Betrachter oder Umwelt. Andererseits erwies sich die Auseinandersetzung zwischen skeptischer Prüfung der Medien und ihrer Authentizität einerseits und dem heißen „Hunger nach den Bildern“ als unerwartet harter Prüfstein: die jeweils eigene Zeit, die eigene ästhetische Lesart des Bildes entsteht - methode traditionelle (2) - mit dem individuellen Kunsterlebnis fast ausschließlich beim Betrachter. Action art, Performance, Video und Computerkunst bekamen trotz ihrer Nähe zu populären Bereichen wie Sport, Jahrmarkt, Theater und Film nie ein größeres Publikum, und die seinerzeit euphorisch gefeierte bewegliche Kunst der frühen Sechziger beispielsweise beschäftigt heute mehr die Museumsrestauratoren als die Kritiker. Bei allen Versuchen, das traditionelle Fahrwasser zu vermeiden, ist die Häufigkeit traditioneller Bildformen überraschend. Die vielschichtigen Text-Foto-Kombinationen oder die notwendigerweise ihre fotografische Verarbeitung mitinszenierenden Aktionen betonen schließlich doch, was vorher vermieden werden sollte: die Aura des Einzelbildes. Vielleicht resultiert das aus der inszenierten Anordnung in der Ausstellung. Die Hängung nivelliert die unterschiedliche Provenienz der einzelnen Bilder – dennoch sind die materiellen und technischen Unterschiede gewaltig und in ihrer Relevanz nicht zu unterschätzen – vergleichbar mindestens der Differenz zwischen einem Holzschnitt und einem Ölgemälde. Für Einzelbilder aus bewegten Zusammenhängen kommt das hauptsächlich auf die Transformationsmöglichkeiten an. Die angehaltene Szene aus einem Film ist Bild für Bild auf Zelluloid vorhanden. Wie ein Dia kann sie mit einem einfachen Schritt in ein vorhandenes Bild transformiert werden. Ein Videoband enthält auf dem Magnetband die Bilderfolgen, sie müssen elektronisch in ein Still verwandelt werden. Die Informationen über das digitale Bild sind nicht einmal mehr chronologisch und aufeinanderfolgend geordnet sondern besiedeln als Datensätze Disketten oder Speicherplatz – diese Standbilder resultieren nicht mehr aus linearen und synchronen Folgen und sind beliebig verfügbar. Die daraus resultierende totale Gestaltungsmöglichkeit ist mit der technischen Herkunft verklammert: Das Filmbild zu manipulieren ist ungleich aufwendiger, als mit der passenden Software die datengestützten Informationen des bildgebenden Computerprogrammes zu verändern. So entstehen Aufnahmen als Fotografien, verweisen jedoch auf die Nutzung und Entstehung von Standbildern im Kontext der gesellschaftlichen Bildproduktion und Medien. Das hat neben der Tradition auch betriebliche Gründe: der Vermittlungsdruck und das Vorhandensein eingeübter kommerzieller Möglichkeiten verstärken sich wechselweise. Und so kamen und kommen immer wieder Editionen zu Aktionen heraus, Reliquiare, reflektierende Skizzen, Aktien, Manifeste ... . Offensichtlich bedürfen gerade materiell unauratische Werke wie Videobänder, Computerprogramme oder ähnliches in der Praxis der Ergänzung durch ein „richtiges“ Kunstwerk. In eigentümlichem Zwiespalt hierzu steht die Seltenheit, mit der Aktionen oder Konzepte ediert wurden: „“Editing events“ as You propose, is not so easy, or wise.“ antwortete Allan Kaprow 1995 auf die Anfrage wegen einer Jahresgabe für den Bonner Kunstverein. Mediendisziplin / Medienhierarchie / Medienkompromiß Das bewegte Bild zum Stehen zu bringen ist eigentlich widersinnig: Es gilt, einen ganz enormen technischen Aufwand zu ignorieren, der das laufende Bild erst möglich gemacht hat. Ein Standbild verweist nicht mehr unbedingt auf seine Herkunft, kann beliebig mit anderen stehenden Aufnahmen oder Abzügen zusammengebracht werden. Die spezifischen Bedingungen der ehemaligen Vorführsituation werden zumeist obsolet. Ein Filmstill kann im Hellen an die Wand gehängt werden, der Videoprint kommt ohne Monitor und Recorder aus, eine Internet-Seite als Computerausdruck existiert losgelöst vom World Wide Web und den dafür notwendigen Geräten. Der Reibungsverlust ist allerdings immens. Der singulären Rezeptionssituation des dunklen Kinosaales und der brillant leuchtenden Leinwand gegenüber ist das Plakat flau, die enorme Beweglichkeit der Internetseite geht verloren. Der künstlerisch kalkulierte Transfer ist so ein bewußtes Inkaufnehmen von Verlusten zugunsten der Präsenz in den verbindlichen Bereichen eines historisch aus-geprägten Kunstkontextes. Dieser definiert zwar seine Grenzen ständig neu; seine Vermittlungsfor-men wie Museumshallen oder Ausstellungssäle bieten jedoch noch nicht selbstverständlich Raum für technische, elektronische oder digitale Medien. Welches Medium sich zur Umsetzung welchen künstlerischen Gedankens eignet, ist ein vielbedachter Umstand. Die Verwendung des Videobeams zur Präsentation von Bändern, die für den Monitor gemacht waren, die Wiedergabe von filmischem Material auf CD oder Video: zahlreiche „optische Wege"(3) , sind nicht nur Umwege, sondern zerstören die ursprüngliche Wirkung, analog zur - leider häufigen - unnötig gerasterten Wiedergabe eines ursprünglichen Holzschnitts im gedruckten Kunstkatalog. Bei diesen Überlegungen stehen urheberrechtliche und inhaltliche Überlegungen in Wechselwirkung. In der klassischen Druckgrafik vernichtet der Künstler die Platten, um geschäftlich wie auch gedanklich die Abgeschlossenheit des Kunstwerks zu garantieren. „Warum sollte ich meine Vorlagen vernichten, wenn diese Medien doch genau deshalb geschaffen wurden, um das Werk beliebig oft machen zu können?“ fragen dagegen zahlreiche Künstler im Zeitalter von offenem Kunstwerk, technischer Reproduzierbarkeit und Freeware. Auraverlust ist bei einem Künstlerplakat, das zunächst nicht eine Druckgrafik für den Sammler sein will, vielleicht eher zu befürchten, wenn zu wenig Exemplare gedruckt wurden und die ja auch künstlerisch gewollte Kampagnenwirkung nicht verfängt. Das Standbild aus dem Zusammenhang bewegter Bilder ist selten genug ein Abfallprodukt des Gesamtkunstwerks, bestenfalls zur Verkaufsförderung gut wie ein Kinoplakat oder Buchumschlag. sondern ein künstlerische Ereignis eigenen Anspruchs. Jochen Gerz zelebriert in seinem Offsetdruck„Sie hielten an ...“ geradezu die Herkunft seiner Bilder aus einem bewegten, selbst erlebten Geschehnis. „Zwei schnappschussartige Fotos und ein Text, dazu ein das Abgebildete reflektierender Stempel zum Ankreuzen Gelebt / nicht gelebt: Gerz stellt die Frage nach den Kontexten. Diese Ruhe hat ein Film selten. Gerade Text, den man lesen muß, braucht die Unabhängigkeit von einer vorgegebenen Zeit, weil nicht nur das zeitliche Erlebnismaß verlassen wird, sondern auch die inhaltliche Ebene. Das noch stets mißglückte Mikrodrama eines Filmabspanns ist ein gutes Beispiel für diesen Medienkonflikt, dieser Text kann, wenn er ausschließlich im Internet (4) gelesen wird, ein weiterer sein.
Dieser Text erschien
unter den Autorennamen Catrin Backhaus / Johannes Stahl zur
Ausstellung
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