Keith Haring

Kann man als junger Künstler nach der Pop Art den Gedanken populärer Kunst noch einmal aufgreifen? Ist es möglich, eine Sprache zu entwickeln, die aus allgemeinverständlichen, attraktiven Bildern besteht und dennoch auch dem theoretischen Anspruch von Kunst gerecht wird? Gibt es eine universale Sprache der Bilder? Bringen wir als junge Künstler neben dem, was wir denken und gelernt haben, auch unsere aktive, lebendige Existenz in die eigenen Werke ein?

Solche Fragen stellten sich in den siebziger Jahren die Kunststudenten an der New Yorker School of Visual Arts. Der aus der Provinz in die Metropole angereiste Keith Haring war mit dem Gedanken beschäftigt, eine Kunst zu machen, die überall passte und verstanden werden konnte und dennoch sehr persönlich geprägt war. Die Voraussetzungen zu Beginn der achtziger Jahre waren denkbar gut, um mit diesem Wunsch tatsächlich Erfolg haben zu können: eine sehr theoretisch geprägte Kunst zeigte deutliche Ermüdungserscheinungen und viele Kunstfreunde warteten auf die Rückkehr von klassischen Ausdrucksformen wie beispielsweise der Malerei, auf temperamentvolle Gesten und eine exzessivere Lebensweise der Künstler.

In New York waren die Graffiti mit ihrer engen Anbindung an populäre Bildquellen wie Comics, Fernsehen und Videoclips seit dem Ende der siebziger Jahren sehr im Trend. Man erwartete von den sich in der Regel nur untereinander weiterbildenden Graffitikünstlern jene Impulse, die in der akademischen Kunst nur schleppend kamen: Wildheit, viel Farbe, Spannung und nicht zuletzt auch einen deutlich gesellschaftlichen Aspekt. Kenny Scharf und Keith Haring taten sich mit einigen Sprayern zusammen, um miteinander zu arbeiten (und so auch voneinander zu profitieren): gemeinsame illegale Wandbilder entstanden, gemeinsame Aktivitäten in der Kunstszene.

Ein richtiger "writer", wie sich die New Yorker Sprayer selbst bezeichneten, ist Haring dennoch nicht geworden. Seine robusten Umrißzeichnungen gingen bei gemeinschaftlichen Arbeiten nie im Sog der flächig angelegten anderen gesprayten Bilder unter. Er schuf mit seiner Kunst eher ein Leitbild für den "Graffiti-Künstler". Im Gegensatz zu den meisten Spraykünstlern waren Harings Aktionen meist sehr präzise gezielt und öffentlichkeitswirksam angelegt: illegale Kreidezeichnungen auf den schwarz überklebten Werbetafeln in der New Yorker U-Bahn, nicht jedoch auf deren Wagen; Wandbilder mit sozialem Charakter entstanden unbemerkt und ohne Auftrag an Hauswänden, aber ebenso auch als gut verkäufliche Leinwandbilder.

Bei alledem behielt Haring seine einmal entwicklte einfache Bildsprache konsequent bei: ob bei Wandbildern gegen den Drogenmißbrauch oder Buttons gegen die Apartheid in Südafrika, bei der zeichnerischen Auseinandersetzung mit den Graffiti an der Berliner Mauer oder der Anlage großer, raumbezogener Wandarbeiten: Harings Figuren sind unverwechselbar prägnant, ihr sicherer und scheinbar spontaner Strich leuchten unmittelbar ein. Die Farbgebung bevorzugt deutliche, einheitliche Farbflächen (oftmals mit Leuchtfarbe) und starke Kontraste.

Gegen Ende der achtziger Jahre war Keith Haring einer der bekanntesten Künstler. Seine Figurenwelt hatte tatsächlich Einzug gehalten in ein weitverzweigtes Netz zwischen Kunst, öffentlichem Engagement und Design. Das lag auch an einem sehr konsequenten Umgang mit dem öffentlichen Charakter seiner Bildsprache. Um seine populären Figuren auch vermarkten zu können, richtete Haring den Pop Shop ein, in dem man alles, was nach seinem Entwurf oder gar von seiner Hand enstanden war, kaufen konnte (übrigens nicht weit weg von jenem Ort, wo Andy Warhol früher seine berühmte "Factory" betrieb, in der er mit Mitarbeitern seine weit verbreiteten Siebdrucke produziert hatte). Keith Haring konnte mit dem Pop Shop auch der einsetzenden Flut von nachgemachten Arbeiten (von denen er eine stattliche Sammlung besaß) effektiv entgegenwirken.

Während der achtziger Jahre erkrankte Haring, der sich immer für die Gleichstellung von Homosexuellen eingesetzt hatte und dementsprechend in seinen Bildwelten auch zahlreiche erotische Motive verwendete, an Aids. Während der letzten Jahre seines Schaffens widmete er sich neben der Friedensbewegung immer stärker dieser Thematik. Für die Initiativgruppe Act Up entwarf er wiederholt Plakate. Keith Haring starb 1990. Eine Stiftung, die seinen Namen trägt, nimmt seither diese öffentlichen und politischen Anliegen seines Werks wahr.

Johannes Stahl 12/94

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