Cordula
Güdemann
Erstaunliches trägt sich zu auf dem zweifarbigen Steindruck
der Malerin Cordula Güdemann: in einer Wolkenlandschaft vollführen Autos
akrobatische Kunststücke. Dicht gedrängt steht eine Menschenmenge auf
einer Art Holzbalkon und schaut dem Treiben zu. "Kunststücke" nennt
sie dann auch ihre Arbeit aus dem Jahr 1990.
Warum vollführen die Autos diese Kunststücke? Handelt es sich um eine
Vorführung von Autoakrobatik, wie sie regelmäßig große Mengen sensationshungriger
Besucher anzieht? Oder sind die mit locker zeichnerischer Hand hingeworfenen
Karossen Attrappen, eventuell Luftballons, die zu den Wolken emporgeschwebt
sind?
So deutlich auch immer vorgeführt wird, was im Bild geschieht: Es ist
nicht möglich, auf Anhieb klare Bedeutungen in "Kunststücke" zu benennen,
denn die Handlung vollzieht sich als Zusammentreffen von Umständen,
die nicht zueinander passen. Autos schweben nun einmal normalerweise
nicht in den Wolken, sondern fahren auf der Straße. Kunststücke vollführen
sie höchst selten: Autos sind Gebrauchsgegenstände und mitunter auch
Kultobjekte, aber sie sind nicht zu Kunststücken fähig.
Cordula Güdemann hat die Autos im Bild so angeordnet, daß sie in die
Tiefe des Bildraums hineinführen. Die Lithographie
läßt an mehrere Bewegungen denken: neben den Überschlägen, die die Karossen
vollziehen, scheinen sie - ähnlich vielleicht wie bei einer Fahrt mit
mehreren Ballons gleichzeitig - einen Sicherheitsabstand zueinander
einzuhalten. Folgt man diesem Gedanken weiter, zeigen sie mehrere Phasen
der gleichen Bewegung in einem Bild. Diese Bewegung vollzögen sie dann
zum Betrachter hin oder von ihm weg. Quasi stellvetretend für den Betrachter
des Bilds gibt es auch Zuschauer im Bild: Das Podium von Neugierigen
ist nicht vollständig in diesen Bildraum einbezogen, sondern endet am
Rand der gedruckten Fläche.
Man sieht nicht, auf welchem festen Untergrund die gesamte Konstruktion
steht, kann aber vermuten, daß es einen solchen Grund gibt. Es sind
wenige Mittel, mit denen "Kunststücke" wirkt: zwei Farben, drei unterschiedliche
Motive. Trotzdem kann die kleine Arbeit eine ganze Menge Fragen in Bewegung
setzen: Wo steht die Künstlerin selbst? Handelt es sich um einen Traum,
den sie hatte? Geht es ihr um das Außer-Kraft-Setzen von Naturgesetz
und Nützlichkeits-prinzip? Übt sie mit den durch die Luft wirbelnden
Fahrzeugen eine vorsichtige Zivilisationskritik oder spielt sie nur
mit dem Kontrast zwischen Funktion und poetischer Möglichkeit?
Abschließend: das Wort "Kunststücke" verweist auf den Bereich, in dem
Cordula Güdemann als Malerin auch selbst arbeitet. Zwischen akrobatischer
Artistik und technischer Kunstfertigkeit, zwischen dem "Stück", welches
als materielles Manifest von jedem Künstler eingefordert wird, und dem
schwebenden Bereich, wo Unmögliches geschehen darf, liegt der Freiraum
ihrer "Kunststücke".
Johannes Stahl, 9/94
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