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Martin Luther als mediengeschichtliches Phänomen

VitrineMartin Luther ist eine der ersten Personen der Kulturgeschichte, die aufgrund seiner Botschaft bekannt wurde und nicht wegen seiner Herkunft oder gesellschaftlichen Funktion. Erreichte er diese Bekanntheit nicht nur durch die streitbaren Inhalte seiner 95 Thesen, sondern auch (und insbesondere), weil er diese im Grunde theologischen Streitsätze so geschickt inszenierte? Zweifellos ist ihm der frisch erfundene Buchdruck sehr zu Hilfe gekommen. Ein maschinelles Vervielfältigungsverfahren im Gegensatz zu von Generation zu Generation abgeschriebenen Inhalten ist eine ungeheuere Beförderung von Bewußtseinsindustrie - man denke nur an die vergleichbaren Phänomene der Fotografie oder des elektronischen Bildes.

Martin LutherAber wo es um Bilder geht, hat Luther ebenfalls eine Sonderstellung inne. Seine Haltung zu Bildern im kirchlichen Gebrauch steht im schroffen Gegensatz zu den bilderfeindlichen und bilderstürmerischen Tendenzen seiner Tage (1). Daß Luther öffentlichkeitswirksam als Teilnehmer in die Abendmahlsszene des Hauptaltars in der Wittenberger Stadtkirche eingebracht wurde, hat gewiß nicht nur Gründe in seinem guten Verhältnis zu Lucas Cranach, sondern beweist zumindest ein großes Vertrauen in die Wirkung und die Verwendung von Bildern. Es existieren daneben auch Vermutungen, daß er der Auftraggeber von wüsten Bildpolemiken gegen seine theologischen und politischen Gegner war.

Man kann gewiß davon ausgehen, daß Luther zu seiner Zeit eine der meistabgebildeten Personen war. Diese Abbildungen hat er zumindest zugelassen, gewiß mitunter auch befördert. Der Streit um seine Person hat sich auch in den Abbildungen Luthers deutlich niedergeschlagen. Die gegen Luther gerichtete Bildpolemik "Dr. Martinus Luther Siebenkopf" wird in diesem Lichte auch ein unfreiwilliges Dokument eines auf verschiedenen Ebenen ausgetragenen Medienkonflikts: Luther ist für seine Gegner nicht richtig greifbar. Vor allem die Variabilität seiner Medienpolitik ist das Problem seiner Gegner. "Denn wer recht dolmetschen will, muß großen Vorrat an Worten haben, damit er die recht zur Hand haben kann, wenn eins nirgendwo klingen will." (2) – dieser Satz ist nicht nur technische Aussage über die Übersetzung von Wörtern, sondern auch medienpolitisch lesbar. Aber: gibt es eine - vielleicht auch nur mühsam konstruierbare - Mediendiskussion zu Luthers Zeiten? Kreist sie um seine Person?

Zunächst stellt sich die Frage, wie klar ihm selbst gewesen sein wird, daß auch Provokationen und Beleidigungen - mit denen er selbst auch nicht knauserig war - nicht nur die Bekanntheit des inhaltlichen Konflikts, sondern auch die Popularität von Personen förderte? War er – angesichts der recht unterschiedlich ausfallenden und auch rollenabhängigen Darstellungen - bewußt ein Bildmodell? Gab es zu dieser Zeit ein Bewußtsein nicht nur für bildnerische Repräsentation, sondern auch für die bewußtseinsbildende Steuerfunktion von Bildern? Immerhin hat sich auch Albrecht Dürer in seinem Selbstporträt von 1503 mit einem bis dato für Christus vorbehaltenen Gestus dargestellt - und damit eine Provokation seiner Zeitgenossen zumindest billigend in Kauf genommen.

Eine Besonderheit von Martin Luther ist, daß er stark auf Vermittlung seiner theoretischen Positionen aus war und gleichzeitig mit zahlreichen Predigttexten (3) sowie der Übersetzung des Neuen Testaments das Nachdenken über religiöse Grundlagen demokratisierte. Gilt das auch für seinen Umgang mit Bildern?

Der Mythos um Luther verleitet (auch heute noch gern) zum Personenkult – und dazu, allzuviele Entwicklungen dieser bewegten Zeit an einer Person festzumachen. Gibt es Ideologen seiner Zeit, die als Paralelle zu den oben angefragten Eigenschaften Luthers gelten können – und sei es als Gegner?

Wenn man bedenkt, daß alle Bildnisse des Mannes lediglich eine persönlichen Arbeitstechniken unterworfene Sichtweise wiedergeben, die oft genug auch noch ideologisch bestimmt ist: Welchen Rang hat seine Totenmaske für die Mediendiskussion? Diese Totenmaske ist oft abgegossen und damit reproduziert worden - und hat anschließend einen gewichtigen Part in der Vermittlung des Luthertums gespielt. Entsteht eine Art Reliquie? Wie steht sie medientheoretisch da – bedenkt man insbesondere den Druck, den Luthers Landesherr ausübte, um mit den zuverlässigsten damals zu Gebote stehenden Beweismitteln (penibles Chronistenprotokoll, unmittelbar nach dem Tode genommene Wachsmaske) den Nachweis zu führen, daß Luthers Seele eben nicht als Ketzerseele vom Teufel geholt worden war, wie es Luthers Gegner propagierten?

Neben der Totenmaske ist als besonders auratisches Relikt Luthers immer wieder sein Tintenklecks an der Wand der Eisenacher Wartburg wahrgenommen worden. Auch diese Reliquie der Geistestat birgt mediengeschichtlichen Treibstoff: Ist der Wurf mit dem Tintenfaß nach dem ihm erschienenen Teufel als Medienmythos erfunden worden – der Prediger, Bibelübersetzer und Sprachschöpfer wehrt sich gegen ein (virtuelles) Bild ?

Thesenpapier, J. Stahl, 25.6.98

  1. Wittmann, Philipp: Martin Luther und die Bilder im liturgischen Raum. unveröffentlichte theol. Abschlußarbeit, Universität Bonn 1994
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  2. Luther, Martin: Sendbrief vom Dolmetschen (1530) zit. n. ders.: An den Christichen Adel deutscher Nationen u.a., Stuttgart 1962, S.162.
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  3. So zum Beispiel zur Weihe der Schloßkirche in Torgau, wo er die Gemeinde auffordert, gemeinsam mit ihm das Weihrauchfaß zu schwingen. Es sollte jedoch nicht verschwiegen werden, daß er diese äußerst provokant klingenden Demokatisierungsanklänge zum Beschluß seiner Predigt zum Symbol wendet: das Weihrauchfaß ist das Gemeidegebet. ML.: in:
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