Some
same old songs
Warum
ich sozialen Netzwerken mißtraue
You've
got a friend
Barack
Obama hat angeblich 17 Millionen erklärte Freunde – ganz im
Gegensatz zu mir, weil ich mich nicht in Facebook registriere.
Häufiger schon kamen Angebote, diese Form der elektronischen
Verbindung einzugehen. Ein Netzwerk namens Xing wurde mir auch schon
öfters angetragen: hier ging es nicht explizit um Freundschaft,
sondern um Geschäftsverbindungen. Es sei in vielem praktischer, hier
an interessante potentielle Partner heranzukommen, denn mit diesem
Beitritt gäbe es ein Geflecht aus Empfehlungen, auf das man zählen
könne.
Überhaupt
zählen: Seit es das Internet gibt, ist es auffallend zu beobachten,
wie ein skalares Denken in ehedem sozial vernebelten Bereichen Einzug
gehalten hat. Suche ich nach einem Künstler oder Sportler, sagt mir
das überraschend häufig genutzte und deshalb sehr weit oben im
Orakel anzutreffende jeweilige Fachportal, auf welchem
Weltranglistenplatz der Betreffende zu finden ist. Wenn ich mich in
eine Mädchenklasse versetze, könnte ich mir vorstellen, dass die
Anzahl der Freundinnen im Schüler-VZ gewiss wuchtige Wirkungen auf
die soziale Rangfolge in der Klasse hat. (Für Jungs gilt das
ähnlich.) Aus meiner eigenen Schulzeit weiß ich noch, dass es auch
damals sehr beliebte und eher außen stehende MitschülerInnen gab –
und entsprechende, teilweise verheerende Konsequenzen. Ich zweifle
daran, dass die öffentliche Ablesbarkeit solcher Fakten hilfreich
ist.
You'll
never walk alone
Soziale
Netzwerke existieren nicht, weil sie in der Gesellschaft vorgeprägt
sind, sondern vor allem weil sie etwas verkaufen können. Mir
verkaufen sie einige elektronische Erleichterungen im Bewerten meiner
sozialen Umwelt oder einen vereinfachten Bildtransfer an ausgewählte
Empfänger. Von mir bekommen sie dafür meine Aufmerksamkeit für
Werbeeinblendungen – mitunter zumindest. Immerhin gibt es in
diesem Fall einen Gegenwert, im Gegensatz zu den Großflächenplakaten
in Städten, die mich nur Aufmerksamkeit (und schlimmerenfalls sogar
Nerven) kosten. Von mir bekommen die sozialen Netzwerke aber auch
einen Fingerabdruck meines elektronischen Verhaltens. Solche Daten
sind in hohem Maße interessant für eine Menge Menschen, die ich
nicht unbesehen und von vornherein zu meinen Freunden zählen würde.
Warum fallen mir hier die öffentlichen Überwachungskameras ein, die
(nicht nur) zu meinem Schutz aufgestellt sind?
Give me everything tonight
Es reicht, bereits das Kleingedruckte (http://de-de.facebook.com/terms.php?ref=pf)
zu lesen, um zu wissen, dass man Facebook wesentlich mehr zugesteht als
das auf den ersten Blick scheint. Klar, auch wenn es mitunter
übertrieben scharfe Aufeinandersetzungen um den Schutz
urheberrechtlichen Eigentums geben mag: Das Nutzungsrecht an den
eigenen Fotos, Videos und Texten kann ein erheblicher Wert sein. Warum
sollte ich ihn vorab und ganz allgemein der Firma überschreiben, die
mich bereits in ihren Nutzungsbestimmungen duzt, aber erst nach der
Vertragsunterschrift mit ihr (das ist das Anlegen eines Profils und die
Voraussetzung zum Einloggen) erklärt, was sie unter "Privatspäre"
versteht? Und: nichts gegen Kalifornien an sich, aber mir ist
nicht genau klar, wie die Westamerikaner es mit dem Urheberrecht
halten. Und kalifornisches Recht gilt für diesen Vertrag (ebenda,
§15/1).
You
say you want a revolution
Dass
soziale Netzwerke dazu beigetragen haben sollen, einigen alte
Diktaturen zu beseitigen, höre ich in letzter Zeit häufiger. Auch
ich glaube, dass der schnellere Informationsfluss dort eine Rolle
gespielt hat. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob das nun der
Struktur dieser Netzwerke oder den Kommunikationsmöglichkeiten des
Mobilfunk und des Internet generell zu verdanken ist. Auf jeden Fall
scheint diese Technik schwierig zu kontrollieren zu sein –
zumindest für technologisch nicht voll entwickelte Regimes und wenn
private Anbieter agieren können. Der Fall ist aber auch durchaus
denkbar, dass sich ein Staat mit eben diesem Anbietern einig ist, aus
welchen Gründen auch immer. Dann dürfte sich – wie es in der
Geschichte der Kommunikationstechnologie eben auch häufig
vorgekommen ist – der Vorteil in einen Nachteil verwandeln.
Nowhere
Man
Wenn
man Angst um zu viel Infomation über die eigene Person im Netz hat,
riet mir ein Freund, dann könne man sich einen Avatar zulegen, einen
unknackbaren Namen eingeben, am Anfang seines Freundschaftsvertrags
mit Facebook ein völlig absurdes Konsumentenprofil anlegen, immer
wieder überraschende Dinge tun, um nur ja sein Verhalten für die
Nutznießer nicht zu berechenbar werden zu lassen. Andererseits: will
ich diese quasi theatrale Schutzhülle um meine eigentliche Identität
wirklich? Oder stört mich vielleicht hier sogar, dass Facebook hier
schon wieder ein Stück soziale Realität nachgeformt hat? Natürlich
spiele ich auch in der Wirklichkeit manchmal von meiner
Selbstwahrnehmung weit entfernte Rollen, schon dann, wenn ich eher
unregelmäßig Karneval mitfeiere. Und wie klug ist Facebook? Aus
eigenen Erfahrungen mit Fragebögen (ja, ich weiß dass das schon ein
abgestandenes Wort ist) weiß ich, dass bestimmte Antworten zur
gegenseitigen Kontrolle dienen und dann eine davon als unrichtig
heraus kristallisieren. Solche Abweichungen werden dann zu einem
signifikanten Merkmal des Profils. Vielleicht machen sie es sogar
noch berechenbarer. Das märchenhafte Rumpelstilzchen: es war doch so
berechenbar in seiner Wut – und nicht zuletzt auch seiner als
Alleinstellungsmerkmal missverstandenen Anonymität. Letzterer würde
ich heute wenig Chance auf Bestand geben.
If
You're looking for trouble, look right in my face
Für
viele Menschen heute ist die eigene Homepage längst ein Muss. Gab es
nicht sogar einmal in New York ein Gratisangebot an Obdachlose,
wenigstens im World Wide Web ein Zuhause zu haben? Diese öffentlichen
Visitenkarten sind nicht nur hoch interessant für die soziale
Neugier (ich zumindest sehe mir öfters die Homepage von Menschen an,
die mich beeindruckt haben), sondern ein gewiss nicht zu
unterschätzender Markt für Persönlichkeits-Kosmetiker aller Art
zwischen Webmaster und Psychologen. Da das Internet von seiner
Herkunft her und immer noch eine nicht privatisierte Angelegenheit
ist (ja, den Zugang muss man bezahlen; ja, es gibt Staaten, die sehr
restriktiv damit umgehen), traue ich ihm eher zu, dass die
Informationen dort gesetzt und wahrgenommen werden wie in einer
anderen Realität auch. Natürlich kann es auch aus vielen Gründen
gefährlich sein, dort mit eigenen Angeboten präsent zu sein oder
sich dort zu tummeln. Aber ist es deshalb innerhalb der sozialen
Netzwerke weniger gefährlich? Immerhin geschehen die meisten Morde
unter Angehörigen. Mir sagte einmal jemand, in den New Yorker
Bezirken, die von der Mafia kontrolliert werden, könne man sich
vergleichsweise ohne Probleme bewegen. Kleinkriminelle anderer
Herkunft würden sich dort nicht hintrauen. Egal, ob dieser Rat
wirklich hilfreich ist: bei mir bleibt ein Restzweifel, ob soziale
Netzwerke wirklich sicherer sind als der Rest des großen Netzes.
Together
forever
Seitdem
meine Freunde in der ehemaligen DDR Telefon bekamen, änderten sich
die Kommunikationsgeflogenheiten ständig. Vordem war der persönliche
Besuch häufig, auch auf den Verdacht hin, niemanden anzutreffen. An
der verschlossenen Wohnungstür halfen dann Zettel und Stift für die
nötigsten Mitteilungen und Verabredungen. In Fällen, die dringender
waren als der übliche Postweg, gab es Telegramme. Mit der Wende
kamen nacheinander ein einfach zugängliches Telefon, Fax,
Mobiltelefon, e-Mail, erste chatrooms, später weit verbreitete
Systeme wie ICQ, dann Bildtelefone à la Skype. Dass diese Systeme
sowohl konkurrierten als auch einander gegenseitig abbildeten, ist
fast überflüssig zu erwähnen. Eigentümlicherweise ist nicht
unbedingt klar, ob die soziale Nähe proportional zur Verfügbarkeit
von mehr Kommunikationsmöglichkeiten zunimmt hat. Gewisse Stimmen
bei meinen Freunden in der ehemaligen DDR behaupten sogar, die
Kommunikation habe abgenommen. Wie auch immer das ist: man kann
darüber nachdenken, ob soziale Netzwerke eine passende Antwort sind
auf die immer stärker privatisierte (und dabei kommerziell
liberalisierte) Kommunikationstechnik.
Putting
on the Ritz, Stomping at the Savoy
In
meiner westlichen Kindheit gab es den Ausdruck „Die Öffentliche“.
Das meinte nicht nur die inzwischen ständig weiter zu schwinden
scheinenden öffentlichen Telefonzellen, sondern auch einen
postalischen Service, jemanden – zumindest in einem kleinen Dorf –
ans Telefon der Poststelle zu holen oder ihm Mitteilungen
zuzusprechen. Das hatte etwas Hoheitliches. Wurden Postbeamte nicht
auch vereidigt? Dagegen bilden soziale Netzwerke gesellschaftliche
Gruppen in etwa so ab, wie sie sich selbst vorstellen und aufstellen.
Das scheint mir dann aber nur die Erweiterung zu einer Situation hin,
wie sie im bürgerlichen Alltag das Theaterfoyer bietet: aha, die und
der sind auch da, und gut sehen sie aus! Man kann es, bei
restriktiveren Zugangsmöglichkeiten, auch mit Clubs vergleichen.
Wirkliche Nähe wird man dennoch nur kontrolliert zelebrieren, denn
sie gibt immer auch ein Signal an die gesamte Abendgesellschaft. Am
Ende sind soziale Netzwerke doch nur repräsentative Gesellschaften?
Sei's drum. Aber dann frage ich mich, warum ich meinen eigenen
Stehempfang ausgerechnet im Salon eines privaten undurchsichtigen
Wirtschaftsunternehmens ansiedeln sollte.
I've
just seen a face I can't forget
Natürlich
freut man sich immer wieder, alte oder auch jüngere Freunde
wiederzufinden. Vielleicht treibt einen auch wirklich das Verlangen
an alte Erinnerungen an Gesichtersuchmaschinen. Unter diesem Aspekt
ist „Facebook“ der bessere Name für das Angebot und
„Stayfriends“ lediglich eine Wunschprojektion. Immerhin ist es
auch der Nachweis eines gewissen Grades an Vertrautheit mit den Zügen
des Gegenübers, wenn man in diesen winzigen Pixelansammlungen
tatsächlich jemand lang Vermissten wiederfindet. Allerdings ist
auch hier der volle Name hilfreich, wenn nicht gar unerlässlich. Und
auch das ist nicht immer die Lösung: „Nicht die Marion Müller,
die Sie suchen?“ Vielleicht sind es gerade die spezifischen
Suchwege, die für die Anbieter sozialer Netzwege interessant sind.
Sie zumindest bieten eine halbwegs authentische Spur, ein soziales
Profil an. Auch wenn man kein Avatarengesicht ins Netz gestellt hat,
ist Facebook nicht nur ablesbar faktenreich, sondern in
undurchsichtiger Weise zusätzlich informiert. „Gesichte sehen“
war zumindest früher einmal gleichbedeutend mit „Visionen haben“.
Kenne ich die wirklichen Visionen von Facebook und Co?