Graffiti und
andere Kunst
an der / mit der / über die / neben der /
Berliner
Mauer
Johannes Stahl
Vortrag 13.8.09 am
Goethe-Institut Stockholm, Schriftfassung
Fotos (soweit nicht anders erwähnt) (c) Johannes Stahl
zur englischen Version
Grenzen haben klar
umrissene Funktionen: sie markieren, wo ein Gebiet aushört und das
andere beginnt. Sie können den Austausch zwischen den Regionen
filtern und kontrollieren. Aus der Sicht des Grenzziehenden sollen
sie das Eigene (in aller Regel das Gute) schützen gegen das Fremde
(das kann das Schlechte sein). Nicht zuletzt haben Grenzwände die
Aufgabe, Einblicke zu verhindern. Bilder auf Wänden können als Ziel
das Gegenteil verfolgen. An wenigen Orten konnte man das so klar
sehen wie an der Berliner Mauer. Diese Wand hatte in vielerlei
Hinsicht mit Deutschland zu tun, unter anderem in kultureller
Hinsicht: ein typischer Fall für ein Goethe-Institut.
Brandenburger Tor, Foto aus einem
offiziellen Touristenführer der DDR, ca. 1984.
Ein trickreicher
fotografischer Standpunkt macht die Mauer fast unsichtbar.
Das Land Berlin benutzte das
zweideutige Wahrzeichen offiziell zur Selbstdarstellung. Zitat aus
einer Werbeausstellung der Stadt Berlin im Marburger Schloß 1985:
"Die kahlen Flächen der Mauer sind Malgrund für
Künstler und Schmierfinken, für Parolen pro und contra, für
Mahnung und Nonsens. Trotzig-rotzig wird Tristesse gekontert. Die
bunten Stricheleien lassen den sterilen, kalt geplanten, die
Perfektion der Abgrenzung suchenden Betonbau in verschärfter
Deutlichkeit hervortreten. Jenseits der bunten Lebendigkeit liegt der
Todesstreifen."
Beuys
Bereits 1964
hatte Joseph Beuys eine künstlerische Bewältigung der Mauer angeregt:
„Beuys empfiehlt Erhöhung der Berliner Mauer um 5 cm (bessere
Proportion !)“ Als Aktennotiz mit Richtung auf die DDR-Verwaltung
erläuterte er diesen eigenartig anmutenden Vorschlag: „Dies ist ein
Bild und sollte wie ein Bild betrachtet werden.” In zwei sogenannten
Fragantworten erläutert er dass es ihm nicht um die reale, sondern die
innere Mauer geht. „Die Betrachtung der Berliner Mauer, aus einem
Gesichtswinkel, der allein die Proportion dieses Bauwerkes
berücksichtigt , dürfte doch wohl erlaubt sein. Entschärft sofort die
Mauer. Durch inneres Lachen. Vernichtet die Mauer. Man bleibt nicht
mehr an der physischen Mauer hängen. Es wird auf die geistige Mauer
hingelenkt und diese zu überwinden , darauf kommt es ja wohl an.
Zunächst also wird die Mauer durch mich, für mich überwunden. (...)
Wenn ich nach Berlin komme , zerrt man nach spätestens 5 Minuten an mir
herum. >>Waren Sie schon an der Mauer?<< Ja , ich kenne die
Mauer aus innerer Erfahrung. Ich weiß genau, was das ist, diese Mauer.“
Beuys' Statement führt in verschiedene Richtungen:
die Mauer als Parabel für Sichtbarkeit, die Frage nach der Kunst, die
politische Deutschlandfrage sowie mit einer gewissen Betonung, die
Frage nach uns selbst.
Die sogenannte
Deutsche Frage
Modell
Deutschland, 1983.
1983
konnte man diese spezielle Stellungnahme finden. Mit Hinweis auf Müll,
Bauschutt und ein ausgelöschtes Feuer vor der Mauer krönte sie das
Ensemble mit der Aufschrift "MODELL DEUTSCHLAND". Überdies einen 1980er
Wahlkampfslogan parodierend, bietet sie einen klaren Einblick in die
“Lage der Nation“ an. Möglicherweise kann man solche Lagen häufiger an
der Inszenierung der Grenzen (oder Grenzwände) abschätzen.
Im gleichen Jahr begann man in West-Berlin das
Potential dieser innerstädtischen Grundstücke zu nutzen: einige
beispielhafte Architekturen wurden errichtet und die Situation zeigte
sich in der Folge ein wenig aufgeräumter.
g-2124_b_mauer_modell_d_8912
Im Januar 1990 wurde die Mauer auch
hier transparent.
Bilder:
Dinge, die man sehen kann
Das bringt uns zur
zweiten Aspekt: Sichtbarkeit. Natürlich wies die Mauer eine Vielzahl
unterschiedlicher Bilder auf, mit sehr verschiedenen Tendenzen.
Allerdings ist auffallend, wie viele Graffiti die Mauer selbst und
ihre Präsenz thematisierten. Neben Sätzen wie "Das ist die
Berliner Mauer” spezialisierten sich einige Graffiti auf
Situationen, wo die staatsbegrenzende Mauer mit anderen Mauern
konfrontiert war. An einer Kirchenwand fand sich so der Satz: “Auch
das ist eine Mauer”.
Geld, 1987
Noch
lakonischer fasste es das Wort "Geld" an einer Fabrikwand. Es zeigte
den schmalen Weg an der Mauer als einen Spannungsraum: einerseits der
“Antifaschistische Schutzwall”; gegenüber die Kapitalistisches Eigentum
schützende Wand.
In diesem Zusammenhang ist es durchaus angebracht,
den strafverschärfenden Zusatz aus dem Urteil gegen Harald Naegeli zu
erwähnen, zu diesen Tagen eindeutig der wichtigste Europäische Sprayer.
"Harald NAEGELI hat es
verstanden, über Jahre hinweg und mit beispielloser Härte, Konsequenz
und Rücksichtslosigkeit die Einwohner von Zürich zu verunsichern und
ihren auf unserer Rechtsordnung beruhenden Glauben an die
Unverletzlichkeit des Eigentums zu erschüttern."
Politik: Kalter Krieg
Ähnliche
Projektionen an der Mauer zeigen sie als Gefängnismauer: man war
mitten im Kalten Krieg, und neben künstlerischen Bestrebungen war
Propaganda eine tägliche Übung. Da blieb es nicht nur offen, ob die
DDR oder Westberlin das Gefängnis sind, sondern auch die Frage nach
den inneren Mauern, von denen Beuys sprach.
Ansichten, 1983
Der
Vergleich DDR=Konzentrationslager; BRD=Irrenhaus ist wieder eine solche
typische kalte Kriegskonfrontation; und dennoch zumindest eine
systemkritische Haltung.
Rüberkommen
Anarchist, 1983
Daneben
sahen viele in der Mauer ein Hindernis auf dem Weg – und das führte
zu vielen Überlegungen, wie sie zu überwinden ist. Naive
Ballonfahrten, oder der Anarchist auf der Leiter: Ich komm schon noch
rüber”.
Einige
Graffiti entwarfen ein Leben vor der Existenz der Mauer, oder eine weit
gestreckte Landschaft: Lasst das Land den Kindern.
Gegenperspektive, 1987
Besondere Erwähnung unter der
Menge der Einblicke konstruierenden Mauergraffiti verdient ein
kleines Graffito an der Weddinger Mauer. Es ist signiert und mit dem
Titel "Das drübensche Berlin" versehen. Es nimmt die
Gegenperspektive zur üblichen Mauerbetrachtung ein und zeigt eine
Ansicht Westberlins vom Ostteil der Stadt her. Dabei ist die
Silhouette der West-Stadt holzschnittartig im Stil der
(Ost-)"Berliner Schule" gehalten.
Kunstgeschichte, Kunstbegriffe
Graffitikulturen
bieten oft eine vielschichtige Kunstgeschichte an. Im Fall der
Berliner Mauer gibt es literarische Ansätze, wie beispielsweise eine
wörtliche (fast mönchische) Umschrift. Politische Tendenzen fanden
sich leicht in den Wettbewerben des Haus am Checkpoint Charlie. Da
Ideologen die Mauer errichtet hatten, blieb sie immer ein Objekt für
andere Ideologen. Michael Nungesser nannte die Mauer 1985 ein
“chaotisches Gesamtkunstwerk”.
Da nun die Mauer und ihre Graffiti Geschichte sind, beginnen sich
auch die eher traditionelle Kunstgeschichte mit ihr zu beschäftigen:
sie hat jetzt ein abgeschlossenes Forschungsfeld. Da gibt es dann
auch Streit: sind die Objekte richtig behandelt worden? Haben der
Kunstaspekt und die historische Wichtigkeit genügend Raum erfahren?
Entspricht die Forschungstiefe dem Gegenstand? Und, eher methodisch:
Benötigen unsere Perspektiven und Methoden selbst klare
Grenzziehungen (was gerade in diesem Zusammenhang eine explosive
Frage werden kann)?
Ist
Mauerkunst = Lebenskunst?
Eine ganze Reihe Künstler haben sich mit der
Mauer beschäftigt. Wiedergegeben, reflektiert und verändert haben die
Situation Künstler wie Henri Cartier-Bresson, Oskar Kokoschka, Wolf
Vostell, Karl-Heinz Hödicke, Shunkichi Tajiri oder Rainer Fetting.
Trotz des hier verfolgten Augenmerks auf die Graffiti der Mauer lohnt
ein Blick auf eine Collage, die als offene Postkarte von Ost nach West
geschickt wurde, damals ein Risiko mit schwer einschätzbaren möglichen
Folgen.
Bild folgt
Christina Pohl: Postkarte, März 1986
Eine
„Mauer“ aus Fußballspielern wird in der Mitte markiert mit einem
offiziellen Briefmarkenzusatz: Auf Wacht für Frieden und Sozialismus“.
Das Lesen zwischen den Zeilen ist hier ein besonderes Moment und
markiert eine gerade in kritischen Kreisen der DDR übliche zweite
Kommunikationsebene.
Jonathan Borofsky: Running man, 1982. Zustand 1983
Der
Amerikaner Jonathan Borofsky hat 1982 anlässlich der Ausstellung
„Metropolis“ in der Nähe des Martin-Gropius-Baus einen "Running Man"
gemalt, der in schwarzen Umrissen mit weißer Fläche gezeichnet ist und
vier Mauersegmente einnimmt. Der Mann läuft auf die Mauer zu und wendet
sich um, als befände er sich auf der Flucht. Die Mauer bietet kein
Durchkommen: sie unterstreicht damit die Aussichtslosigkeit des
Versuchs. Ob man dieser Arbeit politische Dimensionen beimisst oder sie
als sehr private Aussage sieht - deutlich wird in jedem Fall die
Spannung, die Borofsky zwischen seinem Graffito und der räumlichen
Umgebung ausreizt. An der Mauer änderten sich jedoch die Zeichen
ständig. 1983 hatte jemand eine Sprechblase hinzugefügt: “Ick steh uff
Berlin”, ein damals populärer New Wave-Hit mit wenig politischer
Aussage.
Thierry Noir: Reparatur
Genau
unter dem Aspekt ständigen Wandels ist Thierry Noir erwähnenswert: da
er seine Bilder reparierte und konservierte, konnte er zu einem der
bleibenden Künstler der Berliner Mauer werden.
Peter Unsicker: Arbeit am Verdorbenen, März 1987
Wie
Peter Unsicker mit diesem Faktor umging beschreibt einen wieder anderen
Zugang. Seine plastische Nutzung der Mauer in der “Arbeit am
Verdorbenen” änderte wiederholt ihr Erscheinungsbild, was dem Prozess
sowohl eine künstlerische als auch politische Note gab.
Übermalungen
1986 arbeitete
Keith Haring für die "Arbeitgemeinschaft 8. August im Haus am
Checkpoint Charlie”. Sein großes Mural in der Nähe des
Checkpoints war groß angekündigt worden; ein Amerikanischer
Militärhelikopter wachte über diese illegale Prozedur. Haring
sprang öffentlichkeitswirksam während der Aktion mehrfach die paar
Meter zwischen Mauer und Staatsgrenze zurück. Sein Mural zeigt -als
gesamtdeutsche Verbrüderung - eine Menschenkette aus roten und
schwarzen Piktogrammen auf gelbem Grund. Dieser wiederum war vorab
vorbereitet worden und bedeckte Thierry Noirs Miss Libertys. Für
das "Haus am Checkpoint Charlie" ergab das sehr populär
gewordene und oft wiedergegebene Bild vorhersehbare Effekte in der
Kunstwelt und den öffentlichen Medien.
Möglicherweise
relevanter sind einige kleine Zeichnungen an der Weddinger Mauer, die
mit einiger Sicherheit ebenfalls von Haring stammen. Auf
witzige Weise bezieht er andere Graffiti ein und führt sie so zu
völlig veränderten Aussagen. Er kultiviert damit das meist
aggressive Verhalten der Graffiti untereinander und versucht, statt
der Übermalung der anderen Graffiti eine zeichnerische Kommunikation
in Gang zu bringen.
Style
ZEPHYR: Style, 1983
Sinnlich und intellektuell
reagiert ein "Piece" des New Yorker Spraykünstler ZEPHYR
auf die Mauer. Sein kunstvoll entworfenes Wort "STYLE"
benutzt ein Schlagwort der New Yorker Sprayer. Im fremden
Zusammenhang der Mauer erweitert es die innere Diskussion unter
Writern und und ruft die gesamte Diskussion um die Gestaltung der
Mauer und ihrer Graffiti ins Gedächtnis.
Style, 1987
Nach 1986 haben sich die "Pieces" nach New Yorker Vorbild deutlich vermehrt. Auch
wenn die Berliner Mauer offensichtlich nicht so attraktiv als Ziel war
wie ein Piece, das auf Schienen fährt, haben einige prominente Writer
die Mauer bereichert. Auch hier fällt der Schlüsselbegriff: Style.
Jenny, 1983, 1985: Natürlich wurde diese interne Nomenklatur auch ironisiert.
Sogar Jenny fühlte sich imstande, Teil der Bewegung zu werden.
Gegenmauern
John Fekner / DAZE, 1986
Der New Yorker Künstler John
Fekner hat sich wiederholt mit der Mauer auseinandergesetzt.
Anlässlich der 1986 in Berlin stattgefundenen Ausstellung
"Stadtsichten"
interpretierte seine Beschriftung die Mauer als "Beton Puzzle";
eine Zusammenarbeit mit dem Writer und Künstler DAZE. Die weiß
grundierte Arbeit reagiert mit digitalen Buchstaben auf das technoide
Aussehen der Grenze.
Gemeinsam mit seinem Kölner
Kollegen Peter Mönnig hat er ein gegenüber der Mauer liegendes und
im Zickzack verlaufendes Mäuerchen gebaut. Während die für Mönnigs
Arbeiten charakteristischen blitzförmigen Holzskulpturen auf der
kleinen Wand thronen und von dort aus beiderseits den Raum
erschließen, bringen die gemeinsam an den Wandflächen inszenierten
Worte "Wall", "Hall" und "A"
architektonische Grundlagen zur Sprache. Als "Wallhalla"
zusammen gelesen weisen sie die Mauer und ihre verkleinerte Kopie in
die Tradition der kulturell, politisch und idealistisch geprägten
Ruhmeshallen ein. Für Writer hat das Wort „Hall of Fame“ einen
ganz anderen Klang.
Berliner
Mauer / Verkaufsargumente und Medientransfers
Abseits
dieser kunstinternen Diskussionen war – neben der politschen
Sonderstellung - eine Besonderheit der Mauer, dass die spezielle
örtliche Situation Beschriftungen und Bemalungen weitgehend
risikofrei ermöglichte. Das führte nicht nur zu bedenkenswerten
Aphorismen, sondern auch zu zahllosen zu Recht vergänglichen
Notaten. Die Berliner Mauer war zudem ein
perfekter Schmelztiegel für alle möglichen unterschiedlichen Arten
von Wandbenutzungen. Diese Mischung sowie die permanenten Änderungen,
die man fast täglich nachvollziehen konnte, machten die Mauer und
ihre Zeichen zu einem einzigartigen Fall. Letztlich unterscheidet
gerade das sie von anderen Orten, wo eine Bildkultur einfacher
vorherrschend werden konnte.
Style Wars, 1986
Jonathan
Borofsky's running man und seine Umgebung im April 1986 könnten
Anlass sein, über Stilfragen erneut nachzudenken. Wenn man der Idee des
“Gesamtkunstwerks” folgt, dann sieht “Style Wars”
genau so aus.
Als eine
Perspektive wie man mit der Mauer umgehen kann, bemerkte die
Ostberliner Künstlerin Christina Pohl 1985: Wenn unsere Führung
herausfindet, welche bedeutenden Künstler auf der Mauer gearbeitet
haben und was das wert ist, werden sie diese Stücke durch neue
ersetzen und die bemalten im Ausland verkaufen, genau wie die Nazis
mit dem, was sie „Entartete Kunst“ nannten. Bekanntlich ist heute
die Situation anders.
2009
Die Mauer durchlief eine Reihe medialer
Änderungen, von der Architektur über das Bild und (dank der
Mauerspechte) Skulptur und schließlich Edition. Inzwischen
entmaterialisiert, fehlt sie jetzt irgendwie, zumindest für die
touristische Konzeption einer Stadt, die nach wie vor viele Bilder
von ihr nutzt. Touristenmassen haben es nicht gerade leicht, dieses
ausgedehnte virtuelle Monument zu lokalisieren. Was tun? Die Mauer
woanders hin verpflanzen – oder zumindest dort, wo die originale
Position dem Verkehr hinderlich wird, wie am Potsdamer Platz? Sich
auf die East Side Gallery beschränken, genau dem Ort, wo vor dem
Mauerfall keine Graffiti waren? Joseph Beuys erwähnte die inneren
Mauern. In dieser Hinsicht sind die Relikte proportional womöglich
höher als die originale Mauer vermuten lässt. Bevor also zu viel
Konsensgefühl den Blick vernebelt, ist ein Blick auf ein Bild Markus
Vaters angebracht, das die Mauer und bogenförmige Linien zeigt.
Markus Vater, The Problem is not the wall. The problem is the rainbow made of shit. 2003. Öl auf Leinwand, 100 x 130 cm. Aus: Markus Vater. Black
Mountain. Ausstellungskatalog Museum Baden, Solingen 2007, S. 28.
Literaturhinweis
Gründer, Ralf: Berliner Mauerkunst. Eine Dokumentation. Köln 2007.