Material/Wahrnehmung
Wie
auch immer man sich dreht und wendet: die Wahrnehmung von bildender
Kunst hängt vom verwendeten Material ab und umgekehrt ist fraglich,
ob Material ohne eine denkende Betrachtung überhaupt existiert.
Kategorien von Kunst sind allerdings mit schöner Regelmäßigkeit
Fallen für eben diese Betrachtungen. Seit ihren massiven Holzstühlen
und bis zu den heutigen weltumspannenden Internet-Projekten
beschäftigen sich Magdalena Jetelovás Arbeiten mit der
künstlerischen Materialwirtschaft, den Grundlagen von Wahrnehmung
und dem Feld der Wechselbeziehungen dazwischen. Wenn eine Arbeit
einen Lichtstrahl auf eine Rußfläche auftreffen läßt, kann die
Frage entstehen, ob sich dieser Vorgang in Form einer Welle, als
Teilchen oder als Gedanke vollzieht. Und wenn es mehrere
Möglichkeiten gibt: welche Form wäre dann wohl schneller? Und wenn
Ruß Licht absorbiert, gilt dieser Wandel von Energie auch umgekehrt,
könnte also auch Licht Ruß absorbieren? Als Schallschlucker und
Energiespeicher wird Ruß technisch auch eingesetzt ...
Raum
Übertragung
Möglicherweise
hat das immer brüchige Verhältnis von Raum und Materie mit diesem
Dilemma zu tun. Gerade die an unterschiedlichen Orten wiederholten
Installationen Jetelovás werfen die Frage auf, ob ein Kunstwerk auch
materiell etwas von dem Raum mitnehmen kann, in dem es einmal
ausgestellt wurde. Und natürlich stellt sich die Frage, ob dieses
Mitgenommene auch an einen anderen Ort ankommen kann. Die
raumzeitliche Verschiebung, denen sie Ausstellungsräumen in Hannover
und Darmstadt unterzog, arbeitete in besonderer Weise mit akustischem
Material: Töne von vor wenigen Minuten, an einem Ort eingespeist, wo
man schon nicht mehr ist und der außerdem mit großem baulichen
Aufwand verdreht war im Verhältnis zum eigentlich vor Ort
befindlichen Ausstellungsraum. Was hier übertragen wird, ist weit
mehr als ein Material: es handelt sich um ein Netz feinstofflicher
Bezüge, um eine wahrnehmungsgebundene Korrektur der vierten
Dimension. Und bevor die Begriffe Stoff und Netz zu einer konkreten
und damit bedenklichen Betrachtung führen: wie ist überhaupt ein
solches Netz geknüpft, chaotisch oder geordnet, nach geometrischem
Regelwerk oder einer zufälligen und zeitlichen Genese? Gerade die
Aktion Jetelovás, Fragmente der architektonischen Benutzeroberfläche
des Museums in Barcelona an andere Orte im Stadtraum einzuspeisen,
forciert einerseits die Frage nach der internationalen Beliebigkeit
solcher Elemente, macht sie bedrängend. Und andererseits verstört
sie die Orte, an denen diese Fragmente landen, nicht nur durch den
unmöglichen Ortsbezug, sondern auch das Verhältnis dieser Orte
untereinander. Kann man vom übertragenen Sinn ebenso sprechen wie
vom übertragenen Material, von übertragenem Raum wie von
übertragbarer Existenz?
Zeitabläufe
Eigenschaften
des Immateriellen traut man gerade dem Rußstaub gerne zu, ebenso
eine wechselnde Heimat in Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft. Vom
Betrachter abgesehen, der sich ohnehin durch ein ständig durchlebtes
Raum-Zeit-Kontinuum durchschlagen muß, verwenden einige der
Installationen deutliche Elemente von Zeit. Wenn auf langsam
verschwindende Bunker Laserstrahlen gerichtet sind oder der
transatlantische Rücken als Lichtweg Form gewinnt, wird der
zeitliche Wandel künstlerisches Element. Magdalena Jetelovás Finger
vollzieht in den Ruß schreibend nicht nur poetische Gedanken T.S.
Eliots, sondern auch eigene Bewegungen.
CDs
bedienen sich der Lasertechnik und haben einen marktentscheidend
unterschiedlichen technischen Aufwand beim Schreiben und Lesen. Und
zwischen diesen Zeitebenen, zwischen Schreiben und Lesen entsteht ein
Bündel von Fragen. Ist Schreiben aufwandsneutral, das heißt, die
für das Schreiben aufgewendete Energie entsteht durch den Text neu?
Gedicht
Es
ist kein Zufall, daß die Künstlerin Texte eines Dichters
wiederholt. Zum einen ist jeder Mensch ein Dichter, das heißt er
kann verdichtete Gedanken Materie werden lassen. (Andererseits: gibt
es für Gedanken und Sprache auch so etwas wie Antimaterie?) Zum
anderen handeln die Aussagen des Gedichts von den Ge-Zeiten der
Wechselbeziehungen. Auch zwischen den wiederholten und damit
übersetzten Worten des Dichters und ihren eigenen, auf die
verschwindenden Bunker aufgebrachten protokollartigen Titeln sind
vielfältige Möglichkeiten denkbar.
Bei
vorab verteilten offiziellen Reden "gilt das gesprochene Wort"
- für alle Fälle. Es ist flüchtiger, und es ist einmalig. Die
aufgezeichneten und zeitversetzt in einen anderen Ausstellungsraum
übertragenen Geräusche und Töne in den Installationen in Hannover
und Darmstadt konfrontieren den Besucher mit der eigenen
unmittelbaren akustischen Vergangenheit. Beginnt an dieser Stelle
Dichtung?
Inschriften
Es
ist immer eine Frage gewesen, ob das Hineinschreiben in einen Raum
mehr den Ort verändert, mehr das Geschriebene oder mehr die
zugehörige zeitliche Bezugssystem: Werbung, Schultafeln oder
Informationen stehen in den gleichen grundsätzlichen Konflikten.
Künstlerischen Inschriften in Räumen entfalten oft zusätzlich noch
zwei Wirkungen: der Raum kann in seiner optischen Beschaffenheit
entmaterialisiert werden und tritt hinter der Schrift und ihrer
Aussage wie dienstbares Schreibpapier zurück. Aber gleichzeitig
macht die Inschrift die (architektonische oder wahrgenommene) Form
selbst als eine Art Handschrift bewußt, die nicht mehr einem
übergeordneten Prinzip Raum zugehört, sondern individuelle
Formensprache ist. Wenn diese Inschriften in den öffentlichen und
politischen Raum der Bunker am Atlantik weitergehen, ist das
interaktive Projekt „The bridge“ mit seinen Zuschriften im
Internet eine konsequente Folge. Oder kombiniert diese Brücke die
oft beschworene Weltöffentlichkeit des global village mit dem
Rückzug in den privaten Text-Raum jenseits der eigenen
Monitorfrontscheibe?
1 Begriffserläuterung
Subtil („feinstofflich“)
In der Esoterik werden subtile (feinstoffliche) Ebenen angenommen, als ein Bereich zwischen dem körperlich Erscheinenden der sinnlich wahrnehmbaren Welt (grobstofflich) und dem Reich des Geistes (unstofflich).
http://www.usm.de/mysteria/x/x1756.htm; abgerufen 1998-09-26