Johannes Stahl

Feinstoffliche1 Anmerkungen zur Kunst von Magdalena Jetelová


Material/Wahrnehmung
Wie auch immer man sich dreht und wendet: die Wahrnehmung von bildender Kunst hängt vom verwendeten Material ab und umgekehrt ist fraglich, ob Material ohne eine denkende Betrachtung überhaupt existiert. Kategorien von Kunst sind allerdings mit schöner Regelmäßigkeit Fallen für eben diese Betrachtungen. Seit ihren massiven Holzstühlen und bis zu den heutigen weltumspannenden Internet-Projekten beschäftigen sich Magdalena Jetelovás Arbeiten mit der künstlerischen Materialwirtschaft, den Grundlagen von Wahrnehmung und dem Feld der Wechselbeziehungen dazwischen. Wenn eine Arbeit einen Lichtstrahl auf eine Rußfläche auftreffen läßt, kann die Frage entstehen, ob sich dieser Vorgang in Form einer Welle, als Teilchen oder als Gedanke vollzieht. Und wenn es mehrere Möglichkeiten gibt: welche Form wäre dann wohl schneller? Und wenn Ruß Licht absorbiert, gilt dieser Wandel von Energie auch umgekehrt, könnte also auch Licht Ruß absorbieren? Als Schallschlucker und Energiespeicher wird Ruß technisch auch eingesetzt ...

Raum

So faszinierend die Arbeiten als eigenständiges Objekt der Betrachtung sein mögen: jede unterliegt einer Vorstellung von Raum und einem konkreten umgebenden Raum. Wenn ein Laserstrahl Licht transportiert – egal was denn nun als Beschreibung dieses energetischen Vorgangs am sinnvollsten ist - beeinträchtigt er den durchmessenen konkreten Raum und die abstrakte Vorstellung von Raum. Was aber, wenn der Lichtstrahl durch ein bestimmtes Beschreibungsmodell tatsächlich schneller ankäme? In ihrem jüngsten Internet-Projekt wird der durch dieses Projekt durchmessene Raum als Form gedacht: die Brücke ist einerseits unter der Erdoberfläche vorstellbar, andererseits als reale (und durchaus baulich begonnene) Konstruktion. Und von ihrer festgelegten Gestalt abgesehen hat diese Grundform kulturelle Bedeutung, beispielsweise als Raum-Zeit-Konstruktion. Damit wird sie vergleichbar der Pyramidenform anderer Installationen und ihrem Verweischarakter auf grundsätzliche Geometrie und Form für Grabstätten. Aber obwohl dieser Raum beschreibbar ist und sogar Bedeutungen trägt: existiert er eigentlich sicher?

Übertragung
Möglicherweise hat das immer brüchige Verhältnis von Raum und Materie mit diesem Dilemma zu tun. Gerade die an unterschiedlichen Orten wiederholten Installationen Jetelovás werfen die Frage auf, ob ein Kunstwerk auch materiell etwas von dem Raum mitnehmen kann, in dem es einmal ausgestellt wurde. Und natürlich stellt sich die Frage, ob dieses Mitgenommene auch an einen anderen Ort ankommen kann. Die raumzeitliche Verschiebung, denen sie Ausstellungsräumen in Hannover und Darmstadt unterzog, arbeitete in besonderer Weise mit akustischem Material: Töne von vor wenigen Minuten, an einem Ort eingespeist, wo man schon nicht mehr ist und der außerdem mit großem baulichen Aufwand verdreht war im Verhältnis zum eigentlich vor Ort befindlichen Ausstellungsraum. Was hier übertragen wird, ist weit mehr als ein Material: es handelt sich um ein Netz feinstofflicher Bezüge, um eine wahrnehmungsgebundene Korrektur der vierten Dimension. Und bevor die Begriffe Stoff und Netz zu einer konkreten und damit bedenklichen Betrachtung führen: wie ist überhaupt ein solches Netz geknüpft, chaotisch oder geordnet, nach geometrischem Regelwerk oder einer zufälligen und zeitlichen Genese? Gerade die Aktion Jetelovás, Fragmente der architektonischen Benutzeroberfläche des Museums in Barcelona an andere Orte im Stadtraum einzuspeisen, forciert einerseits die Frage nach der internationalen Beliebigkeit solcher Elemente, macht sie bedrängend. Und andererseits verstört sie die Orte, an denen diese Fragmente landen, nicht nur durch den unmöglichen Ortsbezug, sondern auch das Verhältnis dieser Orte untereinander. Kann man vom übertragenen Sinn ebenso sprechen wie vom übertragenen Material, von übertragenem Raum wie von übertragbarer Existenz?


Zeitabläufe
Eigenschaften des Immateriellen traut man gerade dem Rußstaub gerne zu, ebenso eine wechselnde Heimat in Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft. Vom Betrachter abgesehen, der sich ohnehin durch ein ständig durchlebtes Raum-Zeit-Kontinuum durchschlagen muß, verwenden einige der Installationen deutliche Elemente von Zeit. Wenn auf langsam verschwindende Bunker Laserstrahlen gerichtet sind oder der transatlantische Rücken als Lichtweg Form gewinnt, wird der zeitliche Wandel künstlerisches Element. Magdalena Jetelovás Finger vollzieht in den Ruß schreibend nicht nur poetische Gedanken T.S. Eliots, sondern auch eigene Bewegungen.
CDs bedienen sich der Lasertechnik und haben einen marktentscheidend unterschiedlichen technischen Aufwand beim Schreiben und Lesen. Und zwischen diesen Zeitebenen, zwischen Schreiben und Lesen entsteht ein Bündel von Fragen. Ist Schreiben aufwandsneutral, das heißt, die für das Schreiben aufgewendete Energie entsteht durch den Text neu?


Gedicht
Es ist kein Zufall, daß die Künstlerin Texte eines Dichters wiederholt. Zum einen ist jeder Mensch ein Dichter, das heißt er kann verdichtete Gedanken Materie werden lassen. (Andererseits: gibt es für Gedanken und Sprache auch so etwas wie Antimaterie?) Zum anderen handeln die Aussagen des Gedichts von den Ge-Zeiten der Wechselbeziehungen. Auch zwischen den wiederholten und damit übersetzten Worten des Dichters und ihren eigenen, auf die verschwindenden Bunker aufgebrachten protokollartigen Titeln sind vielfältige Möglichkeiten denkbar.
Bei vorab verteilten offiziellen Reden "gilt das gesprochene Wort" - für alle Fälle. Es ist flüchtiger, und es ist einmalig. Die aufgezeichneten und zeitversetzt in einen anderen Ausstellungsraum übertragenen Geräusche und Töne in den Installationen in Hannover und Darmstadt konfrontieren den Besucher mit der eigenen unmittelbaren akustischen Vergangenheit. Beginnt an dieser Stelle Dichtung?


Inschriften
Es ist immer eine Frage gewesen, ob das Hineinschreiben in einen Raum mehr den Ort verändert, mehr das Geschriebene oder mehr die zugehörige zeitliche Bezugssystem: Werbung, Schultafeln oder Informationen stehen in den gleichen grundsätzlichen Konflikten. Künstlerischen Inschriften in Räumen entfalten oft zusätzlich noch zwei Wirkungen: der Raum kann in seiner optischen Beschaffenheit entmaterialisiert werden und tritt hinter der Schrift und ihrer Aussage wie dienstbares Schreibpapier zurück. Aber gleichzeitig macht die Inschrift die (architektonische oder wahrgenommene) Form selbst als eine Art Handschrift bewußt, die nicht mehr einem übergeordneten Prinzip Raum zugehört, sondern individuelle Formensprache ist. Wenn diese Inschriften in den öffentlichen und politischen Raum der Bunker am Atlantik weitergehen, ist das interaktive Projekt „The bridge“ mit seinen Zuschriften im Internet eine konsequente Folge. Oder kombiniert diese Brücke die oft beschworene Weltöffentlichkeit des global village mit dem Rückzug in den privaten Text-Raum jenseits der eigenen Monitorfrontscheibe?

1 Begriffserläuterung

Subtil („feinstofflich“)

In der Esoterik werden subtile (feinstoffliche) Ebenen angenommen, als ein Bereich zwischen dem körperlich Erscheinenden der sinnlich wahrnehmbaren Welt (grobstofflich) und dem Reich des Geistes (unstofflich).

http://www.usm.de/mysteria/x/x1756.htm; abgerufen 1998-09-26