Jean-Luc Vilmouth

"Augmentateur du réel", Steigerer des Wirklichen, nannte ein Artikel den im lothringischen Creutzwald geborenen Jean-Luc Vilmouth. In der Tat verweigern seine Arbeiten die individuelle Handschrift als Macher der Kunst völlig: seine Objekte sind kühl entstandene Ensembles, die "Steigerung" geht von der sehr wohl individuellen Wahrnehmung einfacher Gegenstände und Sachverhalte aus und kommt über die Idee des Künstlers und einen weitgehend unindividuellen Fertigungsprozeß zur Wahrnehmung oder Nutzung durch den Betrachter seiner Kunst.

Der Aspekt des Benutzbaren ist wichtig für Jean-Luc Vilmouth. Eine eigene Werkgruppe sind die Bars, in denen er einem durchaus auch als Café oder Bar nutzbaren Raum eine so spezifische Gestaltung gibt, daß jeder merkt, daß er es mit jener erweiterten Zone der Wahrnehmung zu tun bekommt, die das Arbeitsfeld bildender Kunst ist. "Bar des Acariens", die Milbenbar, ist eine solche Arbeit. Auf bequemen Stühlen sitzend erblickt der Benutzer der Einrichtung an den Wänden und auf der runden Tischfläche vor sich die Bilder von Milben, vielfach durch ein Mikroskop vergrößert. Auch wenn diese Tiere und ihr Kot ein hauptsächlicher Anreger für Allergien sind, hier wirken sie geradezu sauber, aber durch die Vergrößerung schon auch als veritable kleine Monster. Eine Neonschrift an der Wand taucht den Raum in schummeriges Pink, und in der Tat trinken Leute in dieser Arbeit immer wieder einen Kaffee oder einen Rotwein.

Das systematische Arbeiten an Dingwelten und ihrer Verbindung zu tieferen, poetischen Bedeutungsschichten hat Vilmouths Arbeit von jeher begleitet. Der Hammer, Inbegriff des Werkzeugs, taucht in 250-facher Ausfertigung an der Wand des Museums "Magasin" in Grenoble auf, als Raster angeordnet und unterbrochen durch ein ebensolches Raster aus Uhren: "Local time". Bezeichnend für Vilmouth ist, wie er Hämmer in ähnlicher Anordnung auf einer Tapete wiederholt, die herbstliche Bäume zeigt. In "Going back to the trees" bekommt das ohnehin hoch bedeutungsbesetzte Motiv wieder eine andere Richtung.

Außer in Projekten wie den Bars hat Jean-Luc Vilmouths künstlerische Ausdrucksweise sich auch in ausgesprochen vielen öffentlichen Projekten entwickelt. Hier stehen benutzbare Funktion und öffentliche Bedeutung des Gegenstands sich als zwei einander bedingende Faktoren gegenüber: bei der Palme in der Nähe der Villa Arson in Nizza, um die er sich eine Wendeltreppe nach oben schlängeln läßt, im (nicht realisierten) "Comme Arago", in dem er ein Sockelmonument der Länge nach teilen und durch eine Durchgangstreppe begehbar machen will - denn diese Teilung würde den 0-Meridian, auf dem der Sockel steht, zeigen und erfahrbar machen.

"Pourquoi le monde est-il devenu rond?" (Warum ist die Welt rund geworden) ist eine zentrale Arbeit Vilmouths. Umgeben von einer größeren Ansammlung unruhig gehängter runder Bilder aus allen Bereichen des menschlichen Lebens nimmt die Raummitte ein blaulackierter runder Tisch ein, in dessen ausgesparter Mitte eine menschliche Figur sitzt. Dieses Selbstporträt Vilmouths aus schwarzem Kunststoff ist unauffällig bekleidet und hält in der Hand eine Lupe und blickt durch sie, ohne daß erkennbar wird, was genau sie in Augenschein nimmt. Die Bilder an den Wänden machen jedoch Vorschläge, was alles Gegenstand und Argument für diese Frage sein kann: die Uhr, der Apfel, die Brust, die Erde, der Leuchtkranz oder auch die menschliche Pupille. Mit gutem Grund sind Editionen im komplexen Werk von Jean-Luc Vilmouth die Ausnahme. Als eigenständige Multiplikation aus dieser Frage nach dem Grund für die Rundheit der Welt hat er jedoch ein zentrales Motiv herausgekoppelt. Die Pupille, ohne das Weiße im Auge, ist ein solche runde Welt für sich genommen - und außerdem der Ort, von wo ausgehend sich die Frage letztlich entzündet und beantwortet.

Johannes Stahl, 5/96

zurück zum
Inhaltsverzeichnis