Jan Verbeek Als Jan Verbeek geboren wurde, war die Videokunst fast schon eingeschult. Leitmotivisch hatten sich Vorgaben des neuen Mediums zu künstlerischen Überzeugungen verfestigt: daß Video ein eigener und im Vergleich zum Film direkterer Weg der Seinserfahrung im bewegten Bild sein könne (Allan Kaprow, Vito Acconci, Bruce Naumann), daß Videokamera und -recorder, die zu dieser Zeit erstmals überhaupt käuflich zu erwerben waren, den Umgang mit dem Massenmedium Fernsehen revolutionieren würden (immerhin dachte man auch politischerseits über "Kultur für alle" nach), daß dieses Medium wie alle anderen Medien auch die Botschaft sei (McLuhan, als ein Beispiel: Wolf Vostell, vor allem in materieller Hinsicht), daß der (Video-) Künstler als ungezügelter Pionier der technischen Entwicklung vielleicht sogar davoneilen könne (vor allem und ganz besonders immer wieder Nam June Paik). Es liegt für eine historische Perspektive verführerisch nahe, einen jungen Künstler in eine dieser Schulen zu schicken. Jan Verbeeks Werk entzieht sich jedoch in ebenso nachhaltiger wie selbstverständlicher Weise solchen Kategorisierungen. Wo er sein nahezu ausschließliches Medium Video verwendet, spielt das Materielle eine präzis gehandhabte, aber keineswegs puristische Rolle. Wo und wie er die Kamera einsetzt, bleibt nachvollziehbares Mittel seines Arbeitens, wird aber nie als zentrales Thema aufgebaut. Zur Rolle des technischen Entwicklungspioniers strebt er nicht, weiß es aber zu nutzen, wenn ein Kunstpreis zu besonders guten Produktionsbedingungen verhilft und die differenzierte Einzelbildbearbeitung für eine Videoinstallation realisierbar macht. Die Möglichkeit der erweiterten Welterfahrung über das Medium ist für ihn nicht vornehmlich politisches Anliegen, sondern künstlerischpoetisches - und damit selbstverständlich auch politisch. Es gibt zentrale Felder im Arbeiten des Jan Verbeek. Die Statik der kontinuierlichen Bewegung ist ein solcher Brennpunkt seines Interesses. Ob wie in "Perpetuum Immobile" die Bewegung eines kreisenden Videoprojektors die gegenläufig kreisende Bewegung des vorher aufgenommenen Videomaterials aufhebt und an den jeweils beleuchteten Wandpartien ein fast gleichbleibendes Bild suggeriert, ob Bänder sich mit Dauerläufern oder Rolltreppen oder in der Bewegung aufgenommenen Baumstrukturen befassen, stets ist die kontinuierlich ablaufende Zeit durch ihre zyklische Wiederkehr gezähmt, oftmals die Bewegung im Bild durch das Bewegen des Bilds in wechselweise Abhängigkeiten gebracht. Im medialen Widerstreit zwischen der "Ästhetik der Beschleunigung" und der "Entdeckung der Langsamkeit" entwickeln Jan Verbeeks Arbeiten jeweils eine individuelle Mischform von Statik und Bewegung. Ein auffallendes Augenmerk widmen Jan Verbeeks Arbeiten ihren Betrachtern. Das geschieht durch reale Interaktivität, nicht durch technische. Ähnlich wie in Platos Höhlengleichnis erkennt der Betrachter sich und seine körperlichen und gedanklichen Bewegungen als einen konstituierenden Faktor des Werks. Verbeek spielt aber nicht etwa die Rolle des Zufalls beliebig aus, sondern konzipiert die Betrachtersituation bewußt als beschränktes Bündel von Möglichkeiten. Position und Verweildauer im Raum bringen ein individuelles Verhältnis zum jeweiligen Werk hervor: ein Betrachter in einer Installation mit kreisenden Projektionen steht sich notgedrungen selbst im Bild, die Dauer der Betrachtung sensibilisiert für das sich ändernde Verhältnis zum regelmäßig wiederkehrenden Motiv. Und in den aufgenommenen Bildern zeigt sich eine Vorliebe für einfache Vorgänge und einfache Kamerafahrten, die in assoziativer Reihung an die reale Erfahrungsweise des Betrachters appellieren (nicht an die der szenischen Erzählhandlung im Film). Eigentümlicherweise setzt Jan Verbeek das akustische Element häufig in einer gewissen Kontrastwirkung dazu ein und unterstützt damit diese allmähliche Änderung in der Wahrnehmung. Mit allem stillen Charme stellen die Bänder und Installationen wohlüberlegte Ansprüche an die Betrachter, nach knapp zwei Generationen Videokunst. Auch in Verbeeks Videostill Auratischer Woiwode, aus seiner Videoarbeit Never touch a running system ausgekoppelt und als traditionelles Bild auf Büttenpapier ediert, ist seine überlegte Sorgfalt anzutreffen. Durchaus handwerklich greift er in das technische Bild ein: die zentrale Figur des auf dem Zebrastreifen wartenden Mannes hat er mit zusätzlicher Farbe von Hand vorsichtig, aber wirksam betont. Johannes Stahl, 4/2000 |