Markus Vater

"Bei uns nennt man einen Philosophen, der weder auf die alten Dogmen, noch auf die neuen Schlagwörter schwört. Wer "nein" zu sagen wagt, wo die kompakte Majorität "ja" gesagt hat, der heißt bei uns ein Philosoph. Ein Narr auf eigene Faust." So läßt Fritz Mauthner 1906 in einer ausgelassenen Runde von Philosophen den Franzosen Descartes seine Rolle definieren. Da er nicht gleichzeitig auch Prophet war, wird er kaum an Markus Vater gedacht haben. Heute würde er das sehr wahrscheinlich - auch wenn Markus Vater seinen Beruf zuerst als Künstler angibt.

Was Vater an Kunst zeigt, trägt häufig eine Mischung aus Verbindlichkeit und Rebellion in sich. Bildnerische und textliche Notate des Gesehenen, Gespürten oder Geträumten verdichten sich tagebuchartig zu einem sehr eigenen Kosmos. Dabei tauchen tiefe Abgründe auf, die gedanklich oder moralisch Unmögliches in Form bringen, aber auch fast kindliche und sentimentale Elemente. Weder vor verträumten Albernheiten, noch vor einer scharfen Weiterführung zeitgenössischer Grausamkeiten macht Vaters Bewußtseinsstrom halt. Und ständig- auch das weist ihn als Philosophen aus - fragt er. "Why isn't the penis round", "Wer hat New York einen Mittelscheitel gekaemmt?", "Is it a coincidence that the colour you see when you close Your eyes and look into the sun is the same orange than the clothes of a buddhist monk." Gott kommt immer wieder vor, aber auch Heidegger und andere faces of evil. Handschrift ist ein wichtiges Element der Bilder und Texte. Vater setzt sie unspektakulär ein, eine keineswegs überindividuelle Schulschreibschrift. Seine malerische Geste ist sicher und geradlinig, ohne auf Genialität oder Virtuosität zu spekulieren. Das Wichtigste ist, dass sie authentisch bleibt, mit den notierten Eindrücken konform geht und diese durch ihre Normalheit geradewegs unterstreicht. Dabei geht Vater sehr ökonomisch mit seinen Gesten um. Gerade in diesem sehr subjektiv geprägten Bereich muss formal alles stimmen.

Wenn Vater in seinen "Orakeltexten" kleine Begebenheiten auf schlichten Papierblättern mit abgerissenem Packband an die Wand einer Ausstellung bringt, wirkt das zunächst wie eine gerade geöffnete Schreibwerkstatt eines Artist in Residence, der verschiedene Ideen und Impulse notiert hat und aus diesen Elementen später Großes zusammenzusetzen sich vornimmt. Aber das hat Vater gar nicht vor. Aus dem Kosmos der aufgenommenen Impulse entstehen vielmehr eher noch weitere Impulse als eine festgefügte, geordnete Welt. Und wenn es einen schlüssigen Zusammenhang gibt, dann liegt dieser in der Person Vaters. "Gestern habe ich eine Person kennengelern, deren Hand sich an meiner festwuchs während wir zur Begrüssung die Hände schüttelten. Das war ein mystisches Erlebnis. Jetzt trage ich die Person immer bei mir." schreibt Vater auf einem dieser Blätter. Die Begegnung mit jemandem und das Ritual des Händeschütteln wird zu einem bedeutsamen Ereignis, zur Materialisierung eines üblicherweise geistigen Impulses. Dabei ist die Platzierung dieser kleinen Arbeit im Eingangsbereich der Ausstellung wahrscheinlich kein Zufall, und ebenso wenig wird es von ungefähr kommen, daß der Vorgang einen Wahrnehmungsprozeß beschreibt. Dieser "Mitnahmeeffekt" erstreckt sich übrigens nicht nur auf Vater und sein Erlebnis. Womöglich gilt er noch viel mehr für die Arbeit selbst und für diejenigen, die sie betrachten. Johannes Stahl, 12/04

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