Michael Post

Die Arbeiten des Wiesbadener Künstlers Michael Posts greifen sichtbar auf die Grundlagen in Physik und Geometrie zurück. Der Bogen, die Senkrechte, das Lot, die Kraftkurve, das Auswiegen, die Reflexion - fast ergibt sich in den Objekten und graphischen Arbeitenso etwas wie ein Grammatik der Formgebung. Einfache Ausgangspunkte markieren ein Feld, das leicht Gefahr laufen könnte, sich in der Regelhaftigkeit zu erschöpfen und freierem Ausdruck den Weg zu verstellen.

Michael Post kommt in der Regel mit naheliegendem Material und diesem entsprechenden Farben aus: eine ge- und entfaltete Schirmform besteht aus Papier und Beschichtung, sein Objekt mit dem Titel "Sensenschlag" aus Eisen und Mennige. Wo er Objekte farbig faßt, schränkt er die Reduktion auf Schwarz, Gold, Silber, Rot und Gelb ein. Mit Wachs als ihrem Träger angelegte Schutzschicht erzielen seine Farben - vor allem Schwarz- Gelb- und Rottöne - eine flächig-samtige Wirkung, die an ein majestätisches Umfeld denken lassen kann.

Michael Post benutzt in seinen Arbeiten auf beredte Weise die Mittel der künstlerischen Inszenierung. Geradezu dramaturgische Spannungsbögen oder das bewußte Spiel mit Oberfläche, dem "schönen Schein" und nicht zuletzt optische Täuschungen sind Inszenierungsmittel, die der Objektemacher seinen Werken mit auf den Weg gibt. Ohne "Kunst zum Anfassen" zu sein (die meisten Objekte sind sogar recht empfindlich gegenüber Berührungen) lassen Michael Posts Arbeiten an Handlungen denken: sie erzählen von einem sorgfältigen, mitunter komplizierten Entstehungsprozeß. Eine gespannte Angel, ein zur visuellen Form gewordener Sensenschlag führen daneben eine Art materiellen Schauspiels auf, in dem Form und Bewegung in einem Spannungsfeld stehen, Ruhe und konzentrierte Kraft, Materielles und Psychisches.

Normalerweise verwahren sich Künstler gerne gegen jene goldenen Brücken, die ihnen durch aus der Geschichte ableitende Denkweisen gemacht werden. Für Michael Post, der sich auch bekannt erscheinenden Sätzen der Physik vorbehaltlos neugierig nähert, haben auch vertraute Phasen der Kunstgeschichte noch nicht den Beigeschmack des durch Bekanntheit Verbrauchten. Grundfragen der konstruktivistischen oder konkreten Tendenzen - Gedanken, die seit den zwanziger Jahren verstärkt in der Kunstentwicklung diskutiert werden - nähert er sich ohne distanzierende Brechung; seine Kunst findet eindeutig heute statt. Das ergibt sich eher beiläufig und von selbst aus seiner individuellen Herangehensweise, die auch auf genaue Kenntnisse der Arbeiten aus den Zwanzigern zurückgreifen kann. Und nicht zuletzt ist die damalige gedankliche Radikalität heute gleichermaßen bekannt wie fern: die seinerzeit gehegten Hoffnungen sind andere als heute, die damals geltenden gedanklichen Grundlagen werden heute in ihren Auswirkungen - von seriellem Bauen bis zu kernphysischen Auswüchsen - längst als Problemfelder breit gesellschaftlich diskutiert.

Paradoxie ist ein beliebtes Mittel in der Gedankenführung Michael Posts. Das rührt weniger von der Lust am Unlösbaren her als von der Tendenz zum gesamtheitlich Geschlossenen. Das Paradoxe ist hier eine knappe, zwei äußerste Endpunkte eines logischen Problems unverhofft verbindende gedankliche Form. Michael Post interessieren die vielfältigen Wege dazwischen. Die knappe Farbgebung - beispielsweise in der Flächigkeit eines Siebdruck, der zwei gegeneinander verschobene Halbkreisflächen miteinander verbindet - stellt zwar die Dynamik des Vorgangs heraus, bringt dem Betrachter aber gleichzeitig keine erschöpfende Erläuterung, in welcher Richtung sich die Fläche gedreht haben könnte. Der "Sensenschlag" zeigt als schwarz gedruckte Fläche zwar eine Spur seiner Bewegung, läßt aber das Spannungsgefüge zwischen einem tatsächlich vollzogenen Schnitt einerseits und der rein optischen
Analyse des Vorgangs andererseits völlig offen. Zu einer denkbaren Lösung kann der Betrachter nur über seine eigene Denk- und Wahrnehmungsweise finden; und vielleicht führt dieser Weg ihn unerwartet an die Reibung zwischen dem erlebten Vorgang und der sichtbaren Form, zwischen dem Umgang mit dem physischen Alltag und seinem eigenen Verhältnis dazu.

Johannes Stahl, 7/94

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