Sybille Pattscheck

Das weit ausdifferenzierte Feld der Malerei ist jenes Arbeitsgebiet, in dem die meisten Werke von Sybille Pattscheck anzutreffen sind. Die umfangreichen Vorgaben dieser traditionellsten künstlerischen Technik prägen die Denk- und Arbeitsweise der in Köln ansässigen Künstlerin. Vor allem die verhältnismäßig jungen Impulse des zwanzigsten Jahrhunderts bilden den Hintergrund für ihre individuelle Auseinandersetzung.

Konstruktion, Komposition und Bildarchitektur: die Grundlagen eines jeden Bildes sind wesentlicher Impuls zahlreicher Arbeiten Sybille Pattschecks. Linien, Flächen und Farbe bauen miteinander eine Struktur auf, die ein inneres Gefüge des Bilds entstehen läßt. Hierbei geht es jedoch keineswegs um Gefälligkeiten gegenüber dem Auge. Die Ränder, die sorgsam kalkulierte Linienführung, die verhaltene Farbgebung, die Verteilung von Massen im Bild: alles das läßt ein spannungsvolles Gefüge entstehen. Die fragile Statik fragt eingehend nach den Kräften, die in einem Bild am Werk sind. Es liegt auf der Hand, daß diese Kräfte auch nach außerhalb des Bilds drängen. Die "Kartonbilder" der Künstlerin montieren einzelne schwarzgrau bemalte Kartons zu Akkumulationen, deren Ränder wie Zinnen in die Wandfläche ausgreifen und den das Bild umgebenden Raum als Gegenstand der Malerei einbeziehen. Eine Zwischenposition zwischen Malerei und Installation entsteht.

Wenn sich eine künstlerische Position auf derart grundsätzliche Überlegungen einläßt, bezieht sie auch das Material ein, auf dem gemalt wird. Das Liniengefüge, die akkumulative Überlagerung von Flächen benutzt vor allem in den keineren Arbeiten auf Papier ein ebenso alltägliches wie vielschichtiges Ausgangsmaterial als Bildträger: Schnittmusterbögen, wie sie zahlreiche Zeitschriften als Vorlage für eigene Näharbeiten anbieten.

Dieser Griff zu einem alltäglichen Material vereint die Arbeit an Grundlagen der Malerei mit einer weiteren Komponente in der Kunst Sybille Pattschecks: der Auseinandersetzung mit emotionalen und sinnlichen Impulsen der täglichen Umgebung. Die Schnittmusterbögen sind nicht nur eine Anleitung zur Erstellung von Kleidung. Die gleichermaßen verwirrende wie technische Ausrichtung dieser Papierpläne markiert Ausgangsmaterial für Malerei ebenso, wie den handwerklichen Arbeitsbereich, der vor allem Frauen vorbehalten ist. Als wesentlichen Aspekt benutzen und thematisieren Sybille Pattschecks Bilder Farbe und alles das, was dieser Grundstoff der Malerei auslöst. Im Gegensatz zu jüngeren mit Wachs gemalten Bildern fällt in den Arbeiten auf Schnittmusterbögen die Farbwahl verhalten aus: mit dem Spachtel aufgetragene Schwarz-, Grau- und Blautöne erzeugen ein Gefüge aus pastoser Malerei. Die Bilder erzielen jedoch gerade wegen dieser undramatischen Farbwerte neben der konstruktiven Komponente eine Wirkung, die den Eigenwert der Farbe hervorhebt. Die graublauen, schwarzen und bräunlichen Flächen treten als Materie in Erscheinung. Ihre matt glänzende und poröse Oberfläche setzt Licht um: als gemalte Flächen stehen sie nicht im ausschließlichen Bereich der Kunst, sondern wirken auf die realen Räume ihrer Betrachter ein.

Johannes Stahl 1/94

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