K. Peter Kremer

Neun Schichten Farbe kann das Blatt Papier aufnehmen, wenn man sorgfältig und nicht zu pastos Schicht über Schicht legt, das Auftrocknen abwartet, die Wirkung prüft und später dann die angefangene Arbeit wieder aufgreift, sagt K. Peter Kremer. Die Mischungsverhältnisse der Farben, die materiellen Eigenschaften von Bildträger und Malwerkzeug und nicht zuletzt die eigengesetzlichen Prozesse des Trocknens auf Papier spielen im Entstehen der Werke eine entscheidende und für ihn immer wieder eine herausfordernde Rolle. Kremers Arbeit vollzieht sich dabei nicht selten in Serien; schließlich benötigen die Entstehungsprozesse Zeit, und kleine Änderungen entwickeln mitunter schon eine sehr verschiedene Wirkung. Die eigentümlich textil wirkende Oberfläche des starken Büttenpapiers bildet immer wieder den Bezugspunkt der Malerei. Je nach der Konsistenz der Farbe (und natürlich auch nach ihrem Farbton), entsteht ein mehr samtiger oder eine eher ins Glatte tendierender Eindruck. Der Bildträger Papier ist nie in seiner ursprünglichen Farbigkeit zu sehen, aber die Ränder lassen mit ihrem Farbverlauf deutlich erkennen, dass hier nicht im Prozess des Papier-schöpfens schon die Farbe ins Spiel kam, sondern dass ein bewusst zum Papier hinzutretender malerischer Akt die Wirkung hervorruft.

Wo Bilder ihren Gegenstand in einer vergleichsweise einheitlichen Farbfläche finden, erzeugen sie Emotionen grundlegender Art. Bei aller planmäßiger Vorgehensweise ist Kremers Kunst eine hoch emotionale Angelegenheit. Figürliche Motive kommen dabei so gut wie nicht vor; Farbe und Materialität lösen für sich genommen bereits ein weites Feld an Assoziationen aus. Dies gilt insbesondere, wenn Kremer Farben wie Gold verwendet, die in ihren Bedeutungen ebenso weitreichend wie in ihrer Wirkung verfänglich sein können. Die vergleichsweise kontrollierte Verwendung dieser Farben erinnert dabei mitunter an geradezu therapeutische Mechanismen: mit einer präzise gehandhabten und zeitlich sorgfältig eingesetzten Dosierung entsteht gerade deshalb eine so starke Wirkung, weil sie bewusst die Imaginationskraft beim Betrachter voraussetzt und nutzt.


K. P. Kremer hat sich diese Wirkungsgefüge über einen langen Zeitraum hin erschlossen. Stets von elementaren Formen wie Quadrat, Rechteck und Kreis ausgehend entwickelt er Phasen besonderen Interesses für verschiedene bildnerische Bereiche. Eine Zeit lang dominiert der Einsatz der Farben Schwarz oder Gold; immer wieder greift er die Beschäftigung mit optischen und materiellen Strukturen auf, wie sie beispielsweise zerknittertes Seidenpapier zur Wirkung bringt. Insbesondere haben Kremers Papierschnitte seine Arbeit geprägt. Aus bereits bearbeitetem, oftmals bemaltem Papier schneidet Kremer Formen, die meist einfach und geometrisierend sind. Mit dieser materiellen Analyse konzentriert er die Wirkung von Details, die vormals in breitem und erzählerischem Zusammenhang gestanden haben mögen. Mitunter spielen auch die so entstandenen Löcher im Papier ihre Rolle, werden ihrerseits hinterklebt mit andersfarbigen Elementen und kommen so zu einer eigentümlichen Räumlichkeit.

Neun Schichten Farbe auf einem Papier - wie viel von diesen Prozessen kann der Betrachter wohl aufnehmen? Und vor allem: wie nimmt er die Wirkung dieser Flächen auf? Zwischen der Ruhe und Sortiertheit, mit welcher sie entsteht und ihrer hochgradig emotionalen Wirkung (auch für Kremer selbst), vermittelt seine bildnerische Arbeit Wesentliches und Grundlegendes. Vielleicht kommt er deshalb mit wenig formalen Mitteln aus. Und wahrscheinlich haben aus dem gleichen Grund die in seinen Bildern Form gewordene künstlerische Aufmerksamkeit und die daraus resultierenden Prozesse für den Betrachter auch eine solch tiefe und eindrückliche Wirkung.


Johannes Stahl, 12/02

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