Dieter Kiessling

Ein Baum, vor einer Wand, daneben knapp sichtbar Autos und die Fensterfront eines Wohnblocks, fotografiert, passepartouriert, gerahmt, an die Wand gehängt: diese Arbeit wirkt zunächst untypisch für Dieter Kiessling, von dem doch hauptsächlich Objekte oder Installationen mit technischen Medien wie Video bekannt sind. Wenn in der Unschärferelation des Physikers Werner Heisenberg grob gesagt das Messen das Meßergebnis verändert, kommt das durchaus auch als Prinzip in der Wahrnehmung von Bedeutung(en) zu Ehren. Daß Wahrnehmungsvorgänge nicht etwa einfach nur eindimensional und zeitgebunden ablaufen, fasziniert Dieter Kiessling seit langem und ergibt in seinem Werk einen anschaulichen und grundsätzlichen Diskurs über die Wechselwirkungen von Bewegung, Technik und Wahrnehmung.

Während sonst häufig Kategorien wie Innovation oder Marktgeschehen den Umgang mit technischen Medien prägen, betont Kiessling die Grundlagen künstlerischer Arbeiten. So beschäftigt er sich eingehend mit der Form solcher Maschinen, wie Monitore, Kameras, Projektoren und reflektiert deren Grundlagen: das allgemeingültig Schöne, das perfekte Detail, das zukunftsfrohe Design, die Wirkung des Materials. Fernseher beispielsweise sind typologisch ein aus technischen Gründen räumlich tiefer Rahmen um ein elektronisches Bild, Kameras sind optische Suchgeräte, die dem Fernrohr und dem Skizzenblock nahestehen. Mitunter muß Kiessling korrigieren, um mit solcher Technik einfache und klare Aussagen treffen zu können: das Logo unter dem Monitor als sachfremde Form schwärzen, dem Monitor, der Henkel bekommen hat, mit einer Holzfüllung seine klassische kubische Form zurückgeben, dem aus zweifelhaften Gründen weiß gewordenen Äußeren eines Teleskops die optisch sinnvollere graue Farbe.

Den entscheidenden Impuls bekommen Kiesslings Arbeiten durch die Verwendung von Technik: ein Watchman, der ein Bild zeigt, in dem ein passender Ausschnitt aus einem Walkman Brahms spielt und der dadurch nachhaltig über seine technische Funktion hinwegzutäuschen versucht beispielsweise, oder eine Videoausrüstung, die einen mit einer bestimmten Anzahl Umdrehungen rotierenden Ventilator mit ihren 25 Bildern pro Sekunde aufnimmt und so lediglich ein wiederum stehendes Bild der Bewegung zeigt. In einer neugierigen, kalkulierten Untersuchung reihen sich Geräte zu Versuchs- und Wirkungsketten. Das Offenlegen seiner Grundidee bildet für Kiessling den jeweiligen Kristallisationspunkt: es ist alles ganz einfach erklärbar, wenn man es sich genau ansieht. In homöopathischen Dosierungen verabreichen die Installationen eine Mischung aus Selbsterläuterung, Tüftelei, Irritation und Reflektion.

Allmählich sieht man, daß die Äste des Baums durch die Zeiten hindurch runde Bewegungsspuren an der Wand hinterlassen haben. Ein hintergründiges Bild aus Zeit, Energie und jeweiliger Reichweite, erzeugt den eigentümlichen Wechsel zwischen den stehenden einfachen Bild und den Bewegungen im Kopf.

Johannes Stahl, 8/2000

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