Christine Eichholz Wie hinter einer Gardine aus Worten: das Bild eines Raums. Oder aber ein gezeichneter Innenraum, auf der Folie einer schriftlichen Textur. Bei aller Klarheit und Einfachheit werfen die Bilder von Christine Eichholz für ihre Betrachter gleich Wahrnehmungsfragen auf, Zugangsprobleme schriftlicher und räumlicher Art. "Wandel durch Annäherung" liest man da geschrieben und merkt, dass ein Weg ins Bild über das eigene "Begreifen" führt, über die Begriffe, die man sich dazu machen kann. Wenige menschliche Konventionen sind derart umfassend und gleichzeitig abstrakt wie diese formale Prägung von Text. Schreiben und Lesen sind die grundlegende Kulturtechnik, die eine weitgehend standardisierte Annäherung an alle unterschiedlichen Phänomene der menschlichen Existenz ermöglicht. Die Produktion und der Konsum von Schrift ist eine vielfache Übung, die unbewusst abläuft wie das Atmen, weil sie so alltäglich ist. Als typografische Gestalt drängt sich Schrift selten in das Bewusstsein: allenfalls dem, der sie als Formproblem auf Alternativen hin bedenkt. Im Gegenteil, gute Typografie wird im entscheidenden Mass durch die Funktionalität definiert - ähnlich wie die Handschrift durch eine wie auch immer geartete Kultiviertheit. Und dabei sind beide doch Charakterdarsteller: Handschrift ist verräterisch. Schrift und gesprochene Sprache geben sich in der Regel nur deshalb eine Form, weil sie Inhalte transportieren sollen. Natürlich war am Anfang das Wort - als Urimpuls. Schreiben und Lesen sind Auslöser dieser Impulse. Während die Schrift dem Wort Form gibt, zielt der Inhalt auf Kommunikation: Worte stehen so lange im Raum, bis man sie wahrnimmt. Dann erfährt das Bewusstsein eine Veränderung: gravierend, wenn es um tiefe, wahre Worte geht; beschwingt durch ein Wortspiel; geschärft, wenn Worte analysieren oder wenn sie lügen. Räume stellt man sich selten leer vor. Da Räume immer irgendwie genutzt werden, weisen in aller Regel bestimmte Elemente diese Nutzung auch aus: Tisch, Stuhl, Turngerät, Altar, Regal geben dabei nicht nur einen Hinweis auf die jeweilige Nutzung. Auch die Proportion wird festgelegt und die Atmosphäre. Schöner Wohnen": Scharen von Raumaustattern, Innenarchitekten und Lifestyleberatern zeichnen neben dem Nutzer für diese Atmosphäre verantwortlich, und daher sind solche Wohnlandschaften immer aus einem Guss. Aufgeräumt sind sie ohnehin. In den Bildern von Christine Eichholz herrscht einmal ein eher bürgerliches Wohnambiente vor, dann wieder mischen sich traditionelle Gemütlichkeitsvorstellungen mit zeitlos Modernem. Als Strichzeichnung zeigt sich diese Ausstattung gewissermassen nackt, ohne Farbe, ohne Lichtführung und daher auch ohne illusionistisches Volumen. Dafür leistet sie aber eine schärfere Analyse des Sichtbaren. Eigentümlich treten dabei die Fensterflächen hervor: sie unterbrechen nicht nur die zeichnerisch unterbreitete Raumausstattung, sondern auch die zweite, textliche Bildschicht. Die Schrift ist gegenüber diesem schwarzen Bild-Lineament in kräftigem Gelb gehalten. Diese Farbigkeit sowie die deutlich handgedruckte Typografie lassen das im Grunde abstrakte Element Sprache recht materiell werden. Wie in einer Blindschrift wiederholt, setzt sich die Idee vom "Wandel durch Annäherung" fest, führt zu einer tiefer sitzenden Präsenz. Wenn man den sich wiederholenden Text naheliegenderweise laut liest, erzeugt das ein Muster wie eine Beschwörungsformel - und als solche war sie wohl auch politisch zu Zeiten des ausklingenden kalten Kriegs unterwegs (Willi Brandts Öffnungspolitik zum Osten hin) oder im Zusammenhang mit Werner Heisenbergs Unschärferelation (zu knapp gesagt: schon das Messen selbst verändert das Mess-Ergebnis). Christine Eichholz bringt durch den Zusammenhang von Raum abbildender Zeichnung und materialisierter Formel eine oszillierende Sphäre der Wahrnehmung hervor. In dieser Innenwelt ändert sich nicht nur das Bildgefüge und seine Bedeutung bei der Annäherung, sondern notwendigerweise ändern Betrachtende sich auch selbst. Johannes Stahl,
4/2003 |