Editionen

Editionen: das sind Kunstwerke, von denen mehrere Exemplare existieren, die untereinander gleich oder geringfügig verändert sind. Die Anzahl wird in der sogenannten „Auflage“ festgehalten, die in aller Regel auf dem Werk vermerkt wird: x/y, also Exemplar x von insgesamt y Exemplaren. Editionen sind - wenn es keine triftigen technischen oder künstlerischen Gründe dagegen gibt, vom Künstler signiert. Mit seiner Unterschrift bestätigt er die Echtheit und den originalen Ursprung der Arbeit. Vor allem wenn die Kosten der Produktion hoch sind oder die Vertriebswege weitläufig, ist die Edition eine gemeinsame Aktion vom Künstler und einem speziellen Herausgeber. Mittlerweile haben sich auch bestimmte Sammler und Museen auf Editionen spezialisiert, wobei der deutlich geringere Preis und die einfachere Verfügbarkeit der Arbeiten ein Faktor ist, aber auch die künstlerischen Eigenheiten multiplizierter Kunst.

Multiplizierte Kunst herausgeben: diese künstlerische Zielsetzung existiert schon lange. Bereits Albrecht Dürer, Lucas Cranach und ihre Zeitgenossen haben mit ihren Holzschnitten und Kupferstichen ausdrücklich eigenständige Kunst und nicht nur Reproduktionen geschaffen; und oft haben sie diese Arbeiten selbst herausgegeben. Namentlich Dürer stellt in theoretischen Schriften selbstbewußt gute grafische Werke über die Malerei so manches Kollegen, „daran derselb ein ganz Jahr mit höchstem Fleiss macht“. Für ihn steht die künstlerische Idee im Vordergrund, so wichtig und faszinierend auch die handwerkliche Umsetzung in Malerei oder Grafik sein mag.

Editionen enstehen meist in einem arbeitsteiligen Prozeß, und daraus erwachsen andere Fragestellungen als bei der Malerei von Unikaten. Wenn auch hier oft arbeitsteilig vorgegangen wurde (man bedenke die großen Bilderwerkstätten der Marken Rubens oder Dürer), so übersprang die Zusammenarbeit mit einem auf ein anderes Medium spezialisierten Stecher oder „Reisser“ eine Vermittlungshürde. Der Künstler muß genau festlegen, was er will und wie er es will. Zusätzlich ist er auf die Fähigkeiten des Mit-Arbeiters angewiesen, die durchaus seine eigenen übersteigen können. In Zeiten von grundsätzlich arbeitsteiligem Denken hat sich diese Anforderung an multiplizierte Kunst noch verstärkt: Drucker, Programmierer oder Fertigungstechniker haben eigene Regeln, nach denen sie vorgehen. Künstler sehen sich stärker in einem Kommunikationsprozeß, in dem sich ihre Formen entwickeln.

Alles das schmälert nicht den Charakter des Kunstwerks als „Original“. Im Gegenteil: die Kommunikation mit anderen Spezialisten kann der Form des Kunstwerks sehr gut tun. Sie hat einen Klärungsprozeß durchlaufen, nach welchem dem Künstler sein ureigenes Ziel deutlicher vor Augen steht. Vor allem aber ist in diesem Fall die Auflage genau die vom Künstler gewählte und gutgeheißene optimale Form. An dieser Stelle fällt auch der Unterschied zur Reproduktionskunst leicht: in dieser Form hat hier der Künstler das Werk eben nicht gewollt: zumindest einer der Faktoren wie Größe, Material, Technik, Träger, Auflage ist so nicht gedacht gewesen.

Bei multiplizierter Kunst spielt auch der Adressatenkreis eine größere Rolle: wenn es von einer Arbeit mehrere Exemplare gibt, dann gerät diese Edition notwendigerweise in sehr verschiedene Zusammenhänge. Künstler bedenken das in aller Regel mit. Ein multipliziertes Kunstwerk gewinnt eine andere Öffentlichkeit als ein Unikat, und häufig genug drückt die Form der Edition das aus. Dazu gehört möglicherweise schon ein solch banaler Umstand wie die Differenz zwischen Blattgröße und bedruckter Fläche: sie schafft Distanz zum jeweiligen Umfeld, garantiert dem Bild seine Eigenständigkeit, auch beispielsweise gegenüber dem Rahmen. Aber auch komplexere Überlegungen können sich hier ergeben: so ist in jüngeren Editionen oft ein Rücklauf vom Betrachter und Käufer zum Künstler vorgesehen.

Editionen entstehen auch aus einem wirtschaftlichen Grund: multiplizierte Kunst ist weniger teuer, der mögliche Besitz und damit der Zugang zum Original ist nicht nur wenigen vorbehalten. Nicht zuletzt deshalb haben Künstler immer wieder gerade hier besondere Sorgfalt walten lassen, besonders weitgehend überlegt, wie ihre Werke optimal wirken können. Und nicht selten mischt sich auch ein Bezug zu den unikatär enstandenen Werken bei, der sie reflektiert, ändert und dabei mitunter ironisiert, aber in jedem Fall das künstlerische Denken und Sehen weiterführt.

Johannes Stahl, 5/2000



Literatur

- Koschatzky, Walter:
Die Kunst der Graphik. Technik Geschichte Meisterwerke. München 1972.
- Kruglewsky-Anders, Liselotte (Hg.):
Graphik im zwanzigsten Jahrhundert. Hamburg 1977.
- Vogel, Carl: Zeitgenössische Druckgrafik.
Künstler, Techniken, Einschätzungen. München 1982.
- Buchholz, Daniel (Hg.): Index der Multiples. Köln 1994.
- Germer, Stefan (Hg.): Das Jahrhundert des Multiple. Stuttgart 1995.
- Obrist, Hans-Ulrich:
Take me I´m Yours. Ausst.Kat London (Serpentine Gallery) 1997.
- Weibel (Hg.), Kunst ohne Unikat. Multiple und Sampling als Medium. Technotransformation der Kunst. Graz 1999.
- Bonner Kunstverein (Hg.): Jahresgaben. Seit 1981.
- Bundesverband deutscher Kunstverleger (Hg.):
Handbuch der Editionen. Jährlich seit 1994, seit 1996 auch CD-ROM.

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