Leo Breuer In Max Frischs Theaterstück "Don Juan oder die Liebe zur Geometrie" (1952) zieht sich der Held des Stücks in ein Bordell zurück, um in Ruhe seiner Leidenschaft für die Geometrie nachzugehen. Natürlich stößt er mit diesem Rückzug auf vielerlei Barrieren; ist doch der Ort körperlicher Leidenschaften (seien sie nun echt oder bloß gewollt) das Letzte, an das man als Studienort für Geometrie denken mag, und ist doch der erotische Trieb gewiss stärker als eine Begeisterung für Berechenbares. Im Gegenteil, der Geometrie traut man selten zu, wirkliche Leidenschaftlichkeit hervorzurufen; zu stark erscheinen die Elemente des Rationalen um alles, was sich formal als mathematische Funktion festhalten lässt. Insbesondere bildende Kunst, die man oft genug über die spezifisch künstlerische Geste definiert, und an der Handschrift festmacht, stellt man sich vergleichsweise selten als ein Kalkül aus zahlenmäßig definierten Werte vor. Andererseits hat sich mit der "konkreten" und der "abstrakten" Kunst ein wesentlicher Impuls für die Entwicklung zeitgenössischer Kunst gebildet, und emotionslos ist er gewiß nicht. Genau in diesem
Bereich bildender Kunst jedoch ist Leo Breuers Lebenswerk angesiedelt.
Anfangs figürlich und realistisch arbeitend, bringt ihn ein vom
Ausweichen gegenüber den Nationalsozialisten gekennzeichnetes Schicksal
1945 den gebürtigen Bonner mit Auguste Herbin in Paris zusammen,
mit dem ihn eine anhaltende künstlerische Nähe verbindet.
Seitdem arbeitet Breuer fast ausschließlich abstrakt. Emotionslos
ist diese Kunst keineswegs gemeint. Verschiedene Theorien zur Abstraktion
oder der "Konkreten Kunst" prägen die folgenden Jahrzehnte,
und alle weisen der Kunst eine im hohen Maße emotionale Rolle
zu - sei es im Blick auf ihre Wirkung oder hinsichtlich ihres Entstehungsprozesses.
Breuer schließt sich diesen theoretischen Lagerbildungen nicht
an, sondern setzt auf die faktischen Werte seiner Kunst. Ältere
Werke überarbeitet er immer wieder und hält so für sich
einen Entwicklungsprozess fest, der aus wenigen Ausgangselementen einen
bedeutenden Reichtum an Formen hervorbringt. Besondere Bedeutung haben für Breuers Werk Bilder und später Reliefs aus vergleichsweise einheitlichen Modulen. Auf einem einheitlichen Bildgrund sind Rechtecke und Kleinkuben seriell angeordnet; allmähliche Veränderungen der jeweils starken Farben und klaren Formen schaffen im Ablauf der Serie Wirkungen, die Breuer in den Bildtiteln beispielsweise als "Vibration", "Rhythmus" oder "Kinetik" bezeichnet. Breuers Arbeiten öffnen ihren eigentlichen Charakter bei der Betrachtung. Die Dynamik, auf welche die Titel anspielen, setzt eine körperliche Bewegung des Betrachters oder zumindest seines Blicks voraus - und macht damit diesen Prozess zwischen Werk und Betrachter zum Gegenstand neben der formalen Struktur der Arbeit selbst. Es ist angesichts dieses Umstands wohl kaum ein Wunder, dass Breuer immer wieder auch angewandte Aufgaben für seine Kunst wahrgenommen hat, seien es baugebundene Arbeiten oder typografische Gestaltungen. Wirkungen auf den Betrachter und Wechselwirkungen mit ihm sind ein wesentliches Arbeitsfeld Breuers - langezeit bevor der Begriff der "interaktiven Kunst" zum Programm wurde. In seinen vergleichweise seltenen druckgrafischen Arbeiten setzt Leo Breuer sehr gezielt Prägungen und Serigrafie ein. Gerade die Kombination aus beiden Möglichkeiten ist eine überzeugende Fortführung seiner bildnerischen Reliefs. Johannes Stahl. 1/2003 |