Al
Hansen
Fluxus, Happenings, Environments: Al Hansen ist sicherlich einer der
erfahrensten und profiliertesten Vertreter innerhalb der aktionischen,
auf Mitwirkung der Betrachter ausgerichteten und letztlich emanzipativen
Künste. Der Wahlkölner internationaler Prägung lebt jedoch wesentlich
weiter vom Altenteil entfernt als seine Altersgenossen: neben einer
Vielzahl von Performances und nach wie vor entstehenden Arbeiten widmet
sich Hansen immer wieder und verstärkt der Zusammenarbeit mit ausgesprochen
jungen Künstlern.
Als einen freien und experimentellen Ort hat er 1987 gemeinsam mit Lisa
Cieslik die "Ultimate Akademie" in Köln gegründet. Diese produktive
Szenerie aus Atelier, Aktionsort, Diskussionsforum und Ausstellungsraum
vertritt das Gedankengut von Fluxus - jener
Bewegung, die seit den frühen sechziger Jahren Grenzen zwischen den
Künsten und der Gesellschaft sprengen will, und möglicherweise weitaus
radikaler als viele der unter diesem Etikett in den 60er Jahren angetretenen
Kollegen Hansens.
Ein ernstzunehmendes und gleichzeitig lustvoll-anarchisches Prinzip
durchzieht Al Hansens Tun: als Hauptdarsteller des fingierten "Attentat
auf Andy Warhol" muß er mit einer Colaflasche als Infusion ins Leben
zurückgerufen werden; zur als Performance angesetzten Gründung der "Acedemy
of Creative misunderstandings" seines Kollegen Ben Patterson taucht
er in nachlässiger Kleidung und zu spät auf, scheint zudem seine Performanceutensilien
vergessen zu haben - und liefert damit eine glänzende Performance um
die vielen Ebenen schöpferischer Mißverständnisse. Al Hansen ist eine
Erscheinung, in deren Tun sich respektlose Aktionen mit konzeptueller
Schärfe treffen.
Zu diesem Lebensentwurf mag auch gehören, daß der seit Jahrzehnten in
Köln Ansässige regelmäßig Zweifel streut, ob er denn nicht doch nur
ausschließlich amerikanisch spricht, gleichzeitig jedoch Deutsch bis
in feine Nuancen hinein fließend versteht. Hansens Kunst hängt in ganz
entscheidendem Maße mit der Art und Weise zusammen, wie er lebt.
Wenn auch die aktionistische und kommunikative Seite in seinem Arbeiten
den Schwerpunkt bildet, existieren zahlreiche kleine Werke von ihm.
Bildformeln wie zum Beispiel "Venus", "Koffer" oder "Turm" geht er regelmäßig
aufs Neue nach. Dabei verwendet Hansen mit Vorliebe benutzte, wertlose
Verpackungsmaterialien. Den in den USA viel bekannteren Einpackpapieren
von "Hershey"-Schokoriegeln folgen Zigarettenkippen, Zeitungsfetzen,
metallisches Einpackpapier für Schokolade, Etiketten aller Art und sehr
häufig Streichhölzer:
Es scheint, als müsse Hansen die Materialien erst selbst ganz regulär
benutzt haben, um sie anschließend künstlerisch verwenden zu können.
Aus diesem und ähnlichen Zivilisationsmüll fertigt Hansen Collagen und
Objekte, denen einerseits ihre Herkunft anhaftet, die aber andererseits
archaische Menschheitsthemen wiederholen. Hansen arbeitet in Serien,
gewissermaßen wie ein Einmann-Manufakturbetrieb: die Arbeiten entstehen
wie oft geübte Körperfunktionen fast beiläufig, als ein gelebtes Stück
Kunstproduktion.
Mit der "Underberg Venus" von 1994 verfügt die Artothek im Bonner Kunstverein
über eine nahezu klassische Arbeit von Hansen: aus den Verpackungspapieren
von Underberg-Flaschen collagiert, setzt sich eine Venusfigur zusammen.
Kopf, geöffnete Arme und die Schenkel der frontal ausgerichteten Figur
werden durch das rote Trägerpapier der Gestalt begrenzt. Die Underberg-Venus
reduziert die weibliche Figur ohne Rücksichten auf klassische Schönheitsvorstellungen
auf einen archaischen, dem Konsum unterworfenen Torso.
Johannes Stahl 3/95
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