Fremd zwischen
Fernsehen und Video
Zu einem Filmprojekt von
Astrid Heibach
Es ist eine lange Geschichte: wenn es überhaupt schon so etwas wie Traditionen in der Videokunst gibt, dann die Feststellung, daß die zahlreichen Fernsehsender eigentlich das ideale Medium zur Verbreitung und Vermittlung der Videokunst wären und außerdem, daß es leider - von Ausnahmen abgesehen - doch nicht geht. Es geht nicht, weil im Fernsehen die "kulturellen Fenster" zu klein sind, um mit dem experimentellen Horizont der Videokunst klar zu kommen; es geht nicht, weil man in Videokreisen Angst hat vor der breiten Vermittlung, die auch Mittelmaß erzeugt, und es geht nicht zuletzt auch deshalb nicht, weil Fernsehen und Video sehr eigene Produktionsweisen haben, Unterschiede wie zwischen Handwerks- und Industriebetrieb: in der technischen Funktionsweise sehr ähnlich, ansonsten mit fast entgegengesetzten Richtungen in Ansatz und Wirkung.
Astrid Heibach arbeitet seit einiger Zeit an einem Projekt, das sowohl der Videokunst als auch dem Fernsehen Rechnung trägt. "Der Fremde" bindet über Monate hin ihre gesamte künstlerische Produktivität, denn für Videokünstler/Innen ist es eine unbekannte Anforderung in weitgehend neuen Gefilden, 60 Minuten Videokunst in einem Fernseh-Drama zu entwerfen und zu realisieren. Sie tritt in die Rolle der Drehbuchautorin und Regisseurin und ist in der Folge darauf angewiesen, mit Spezialisten für Text, Dramaturgie, Technik und Schaupiel zusammenzuarbeiten. Diese organisatorische Struktur steht im Gegensatz zu meist solipsistischen Vorgehensweise der Videokünstler. Astrid Heibach - im übrigen gelegentlich als Cutterin selbst eine Spezialistin im betrieblichen Ablauf eines Senders - setzt in ihrem Projekt auf die Kenntnisse von diesen Helfern: eine Regisseurin hilft ihr beim Kennenlernen der dramaturgischen Ideallinie, die Zusammenarbeit mit einem Drehbuchautor und später gewiß die Schaupieler nehmen Einfluß auf die Dialoge der Figuren. Ohne daß dabei die ursprüngliche Konzeption geändert werden muß: alles das verbessert die Wirkung im gesendeten Produkt. Daß dieser Prozeß langwierig ist und das Drehbuch schon 4 Fassungen kennt, liegt in der Natur der Sache. Die Kompatibilisierung der verbreitetsten Computerbetriebssysteme war auch eine schwere Geburt.
Was bleibt angesichts der professionellen Übermacht des Fernsehens von Video übrig? Zunächst: die Geschichte selbst ist im Milieu der Videokünstler angesiedelt. Als dokumentarisch orientierte Künstlerin geht Astrid Heibach von wahren Umständen aus: die Diskussionen, die Haltungen und Verwicklungen, die Beziehungsgefüge zwischen Menschen und ihren Ausdrucksweisen sind erlebte Ausgangspunkte. Dabei spielt die Videokamera eine vielschichtige Rolle: als Arbeitsmittel, als Zeuge, als Möbel, als kreatives Werkzeug, als Schoßhund, als mehr oder weniger umständliche Apparatur, als Partnerersatz. Vielleicht ist sie der eigentliche Hauptdarsteller des Fernsehfilms. Sie spielt diese Rolle auch im Gegensatz zur Fernsehkamera, welche das Drama realisiert, spielt sie authentischer und dennoch vielleicht weniger breitenwirksam überzeugend. Ein wesentlicher dramaturgischer und inhaltlicher Part kommt den Videobriefen zu. Als fremdes Medium im Fernsehfilm zeigen sie die eigentliche Innovation, die der ungarische Student Bela halb aus Heimweh entwickelt: künstlerische Inszenierungen, ins handelsübliche VHS-Format auf Video gebracht, als versendbare Kunstbotschaft. Letztlich trifft sich in diesen Videobriefen - und der daraus entwickelten Videozeitschrift - das Medium Video mit dem Fernsehen, bringt seinen eigenen, expressiven und letztlich interaktiven Weg zur künstlerischen Kommunikation ins Feld des Massenmediums.
Astrid Heibach schreibt, interpretiert und stilisiert mit diesem Film ein Stück eigene Geschichte. Diese Szene ungarischer Emigranten, die Video in der Fremde als ihre eigene Sprache entwickelten und diese Sprache in eine komplexe Wechselwirkung zu ihrer fernen Muttersprache brachten: es hat sie wirklich gegeben. Und natürlich auch die inzwischen zum Mythos werdenden Anfänge der Videoskulptur, die vergeblichen Versuche, Video über den Kunsthandel zu verbreiten, das Schicksal des Videomagazins Infermental, die Buchhandelsausgaben von Kunst auf Video: einen wesentlichen Ausschnitt aus der Geschichte der Videokunst mit eigenem Blickwinkel und eigenem Medium vorzustellen, bedeutet gleichzeitig auch, ihre Theorie zum Thema zu machen. Und sei es in einem "Fernsehfilm, 60 Minuten".
Johannes Stahl