Yvon
Favrot
Wie von einer Epidemie befallen präsentieren sich öffentliche Flächen
oder Fenster und auch Wände in Ausstellungsräumen: Yvon Favrot überzieht
sie mit einem unregelmäßigen Gittermuster aus Klebeband. Die unruhige,
mosaikartige Lineatur in jeweils einheitlicher Farbe sperrt die Flächen
und markiert sie gleichzeitig: wie die Schraffur einer Zeichnung, das
Trassieren von öffentlichen Baustellen oder das dichte Verkleben von
sehr empfindlicher, meist gläserner Fracht. Was zunächst wie ein klassisches
künstlerisches Individualmedium („der Künstler mit dem Klebeband“) gesehen
werden kann, bildet indes eine reichhaltige Welt an Bezügen zur Kunstgeschichte
und zum Alltag.
Favrot weiß sehr wohl um die Nähe seiner Interventionen zu den Klebebandbildern
eines Piet Mondrian, den Bildvergitterungen eines Franz Kline beispielsweise
oder vor allem den öffentlichen Streifen von Daniel
Buren. Aber trotz aller Ähnlichkeit oder wirklicher Nähe zu den
bekannten Positionen anderer Künstler schafft Favrot eine eigene und
unverwechselbare Kombination aus begrenzten formalen Mitteln und weitreichender
Aussage. So setzt er die verschiedenen Qualitäten seiner Textil-, Plastik-,
Isolier- oder Grafikbänder sehr präzise in den jeweiligen Zusammenhängen
seiner Installationen ein. Farbe, Oberflächenstruktur, Dichte und Breite
stehen in einem stimmigen und trotz der kaum berechenbaren Anordnung
keinesfalls zufälligen Verhältnis zu ihrer Verwendung. Vielmehr loten
sie in sensibler Weise die Wirkung von Flächen aus, ebenso wie die Anhäufung
von Paletten und Holzlattengittern, die häufig seine Innenraumarbeiten
prägen.
Meist enthalten diese formal recht strengen Installationen jedoch zusätzlich
ein sehr spielerisches Element, einen schalkhaften Zug. Die Säge steckt
noch im Baumstamm, den sie gerade absägen sollte. Der Künstler muß vor
wenigen Minuten hier noch fleißig gewesen sein und hat mitten im schöpferischen
Akt den sehr deutlich überlangen Besen in die Ecke gestellt und ist
nicht mehr da. Aber die unfertige Situation hat etwas Gutes. Wie in
einem Lehrfilm für Kinder kann man sehen: so hat der Künstler gearbeitet,
eben noch. Und auf diesem Stuhl muß er gesessen und sich die Installation
betrachtet haben. Ob wir dasselbe sehen, wenn wir uns auf den Stuhl
setzen dürften?
Favrots kleinere Collagen auf Fotos aus verschiedenen Stadträumen kultivieren
diesen Blick zusätzlich. Sorgfältig klein zugeschnittenes Klebeband
mischt sich auf eine Weise in den fotografierten Stadtraum ein, wie
es in der Realität wohl kaum möglich wäre. Aber mit dieser detaillierten
Aufladung verdichtet sich das kleine Bild zu einer Vision, wie Architektur
und Städtebau das (all)tägliche Erleben in einer Stadt aufladen und
zu einem geistigen Akt machen könnten, wenn sie den spielerischen Witz
Favrots hätten und seine stimmige Formgebung.
Johannes Stahl, 6/2001
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