Sonja Alhäuser

„Intuition (statt Kochbuch)" betitelte Joseph Beuys eine zentrale Edition der späten sechziger Jahre, die - als „Intuitionskiste" bekannt geworden - heute in hunderten von Exemplaren Sammlungen und Alltag von Kunstfreunden bereichert. Was der Meister so manifestartig zum Gegensatz erhob, wirft ein Schlaglicht auf ein wesentliches Konfiktfeld sinnlichen Erlebens, in dem Sonja Alhäuser ihre künstlerische Arbeit verrichtet - und dabei zu sehr anderen Ergebnissen kommt als der Meister. Das Herstellen von Essbarem unterliegt gemeinhin eigentümlichen Regeln: Tonnenweise existieren Kochbücher und Gourmetführer und die Küchenbetriebe sind straff autoritär geführt - um ein weiches, eher unbeschreibliches Erlebnis auf der Zunge zu haben, wenn man sich die Ergebnisse dieser streng reglementierten Produktion einverleibt. Essbares gehört zu den zeitgebundenen ästhetischen Produkten und Wahrnehmungen: wenn die Maus satt ist, schmeckt das Mehl bitter.

Als bildende Künstlerin beschäftigt Sonja Alhäuser beides: das Essbare als Nahrung ebenso wie dessen äußere Form. So bestreitet sie immer wieder auf Eröffnungen oder ähnlichen Ereignissen die Verpflegung, und zwar in üppiger und lustvoll-verspielt gestalteter Weise. Marzipanene Maulwürfe, die aus der gleichnamigen Torte herausschauen, Schokoladentaler mit dem Konterfei des zu feiernden Brautpaares, Sahnetorten, in deren Verzierung sich eine ganze Bildergeschichte abspielt, ein aus Schokolade gegossenes Pferd, das durch den Kontakt mit dem hungrigen Publikum immer weniger wird und verschwindet.

Daß das Denken eines solchen Vorgangs nicht nur ein Versorgungs- oder Unterhaltungsakt ist, sondern eine intensive Seite als Bildform hat, zeigen eindrucksvoll ihre Zeichnungen. Produktion und Zubereitung von Nahrung und Speise schließen sich hier mitunter über die Verdauung und Ausscheidung zum Stoffwechselkreislauf. Sonja Alhäusers Bilder kommen jedoch kaum als belehrende Schautafeln daher, sondern füllen in leichter zeichnerischer Sprache ihre Fläche in komplexen Schleifen an, die sich auch einmal in verschiedene Handlungsstränge teilen können. Der leichte, zeichnerische Charme spielt in allen ihren Zeichnungen und Druckgrafiken eine besänftigende Rolle, so daß selbst schmerzhafte Schwangerschaftserlebnisse oder heftige erotische Fantasien eine zunächst angenehme Form finden.

Aber bald merkt man, daß sich hinter den mit leichter Hand gezeichneten Szenen einige Abgründe auftun können: der einsame Schwimmer in Sonja Alhäusers „Schokoladenmaschine" muß in seiner Wanne aus flüssiger, heisser Schokolade immer und immer wieder untertauchen, zu den erotischen Spielen gehört mitunter auch die Peitsche, die Geburt tut wirklich weh, wenn man die Zeichnungen wirklich ansieht. Nicht zuletzt der Rundritt und die Übernachtung in einem gemeinsamen Kleid mit ihrem Pferd in der Düsseldorfer Innenstadt („Rundritt im Stadtanzug", 1997) führt vor Augen, was heute eigentlich nicht mehr möglich ist, und wenn es in allen Mythen der Welt seinen Ursprung hätte - es sei denn, man heißt Sonja Alhäuser und lebt und lotet lustvoll die Grenzen von jenen lebensnahen Existenzfragen aus, die es immer schon verdienten, sich damit zu beschäftigen.

Johannes Stahl, 7/2000
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