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Johannes Stahl
Ausstellungskonzeptionen

Erwartungen

Es ist ein geradezu klassischer Konflikt: von der Kunstgeschichte und den KunsthistorikerInnen wird erwartet, daß sie Aufschluß geben von der geschichtlichen Entwicklung des Forschungsgegenstands Kunst - und je intensiver man sich diesem Gegenstand widmet, desto deutlicher zeichnet sich ab, daß man diesem Ziel nicht gerecht werden kann. Für die kunsthistorische Theoriebildung gilt ähnliches, und möglicherweise nicht nur für sie. Es erscheint sinnvoll, sich diesen Zielkonflikt auf den verschiedenen Ebenen immer wieder zu vergegenwärtigen.

Ausstellungen als Ausdrucksform

Ausstellungen haben in verhältnismäßig großem Umfang klassische Aufgaben in diesem Betätigungsfeld für KunsthistorikerInnen übernommen. Von ihnen erwartet man nicht nur den in der Regel verbalen und papiernen Zugang eines Katalogs, sondern darüber hinaus Inszenierungen. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: es geht bei diesem Begriff nicht um die möglichst weihevolle Präsentation, sondern um jegliche Form, einschließlich der verweigerten Weihe. Die Inszenierungen weisen verschiedene Qualitäten auf: in erster Linie Inszenierungen der Kunst selbst, Inszenierungen der Ausstellungsidee, Inszenierungen von inhaltlichen Anliegen. Letztlich ist jede Ausstellung eine Mischung aus diesen verschiedenen Möglichkeiten. Und vor allem hat dieses Mittel der kunsthistorischen Begriffsbildung eigene Regeln: bestimmte Inszenierungen kommen einfach dadurch zustande, daß Kunst ihr eigenes Wirkungsfeld beansprucht und nicht - wie in einem Text beispielsweise - mehr oder weniger beliebig verfügbar ist.

Katalog

Der Katalog übernimmt für die Ausstellung verschiedene Funktionen: er setzt das Ausstellungsgeschehen teilweise in Papierform um; er kann mit weiterführenden Texten oder Bildern zur Vertiefung beitragen, er dient als zusätzlicher Informationsspeicher und erfüllt nicht zuletzt die Funktion, als bleibendes Relikt an die Ausstellung zu erinnern.

Daher: ein kurzer (subjektiver!) Überblick über verschiedene Ausstellungstypen im Bereich zeitgenössischer Kunst, die Trennschärfe bleibt ein Problem

Inszenierungsideen mit inhaltlicher Tendenz

Gohr, Siegfried/Gachnang, Johannes (Hrg.): Bilderstreit. Widerspruch, Einheit und Fragment in der Kunst seit 1960. Köln 1989

Themenausstellungen mit Überblickscharakter

Gohr, Siegfried (Hrg.) Europa-Amerika. Die Geschichte einer künstlerischen Faszination seit 1940. Ausst.Kat. Köln (Mus. Ludwig) 1986.
Varnedoe, Kirk/ Gopnik, Adam (Hrg.): High and Low. Moderne Kunst und Trivialkultur. (Ausst.Kat. Mus.o.Mod.Art New York 1990) München 1990.
Stooss, Toni (Hrg.): Die Sprache der Kunst. Die Beziehung von Bild und Text in der Kunst des 20. Jahrhunderts. (Ausst.Kat. Kunsthalle Wien 1993). Ostfildern 1993.

Historische Überblicksausstellungen

Glozer, Laszlo (Hrg.): Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939. Köln 1981.
Hulten, Pontus (Hrg.): Territorium Artis. Ausst.Kat. Kunst- und Ausst.Halle der BRD, Bonn 1992.
Joachimides, Christos/Rosenthal, Norman(Hrg.): Die Epoche der Moderne. Martin Gropius-Bau, Berlin 1997.

Überblick über eine medial eingeschränkte Optik

Szeemann, Harald: Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Kunsthalle Düsseldorf 1983
Buchholz, Daniel (Hrg.): International Index of Multiples. From Duchamp to the present. Köln 1993.
Franz, Erich (Hrg.): Das offene Bild. (Ausst.Kat. Westf. Landesmus. Münster) Ostfildern 1992. (Malerei-Ausstellung)
Daniels, Dieter (Hrg.): Minima Media. (Ausst.Kat. Medienbiennale Leipzig 1994). Oberhausen 1995.

Zeitschnitte

Documenta- Kataloge. Kassel seit 1955
Biennale-Kataloge. Venedig, seit Menschengedenken.
Tiefe Blicke. (=Ausst.Kat. Hess. Landesmus. Darmstadt). Köln 1985. (Malerei-Rennaissance der 80er)
Joachimides, Christos (Hrg): Zeitgeist. Ausst.Kat. Martin -Gropius-Bau Berlin 1981.
Pohlen, Annelie (Hrg.): Wechselströme. Ausst.Kat. Bonner Kunstverein 1987.
Weiermeier, Peter: Prospect Ausst.Kat. Frankfurt/M 1986, 1989, 1994.

Projektausstellungen (häufig auch von Künstlern kuratiert bzw. selbstverwaltet)

Hoet, Jan (Hrg.): Chambres d4Amis. Ausst.Kat. Mus. van Hedendaagse Kunst, Gent 1986.
Bussmann / König, Kasper: Skulpur Projekte Münster. 1977, 1987, 1997
Weber, Heike & Ute: Maikäfer flieg. Ausst.Kat. Köln 1995
Wiecorek, Silvia: Weisses Rauschen. Düsseldorf 1997
1994. Ausstellungsreihe mit sich überlagernden Einzelausstellungen. Düsseldorfer Kunstverein (Raimund Stecker) 1994

Trendsetzende Ausstellungen

Szeemann, Harald: when attitudes become form. Ausst.Kat. Kunsthalle Bern 1969 (konzeptuelle Kunst)
Pohlen, Annelie: Über Leben. Ausst.Kat. Bonner Kunstverein 1993 (Existenz-Positionen)
manifesta. Ausst.Kat. Rotterdam 1996 (formale Innovationen, Medienpräsenz, giveaways)

Kuratorenausstellungen

Szeemann, Harald: Einleuchten - will, vorstel und simul. Deichtorhallen Hamburg 1989.
Ricke, Rolf: Aus meiner Sicht. Ausst.Kat. Kölnischer Kunstverein
Weibel, Peter: Kontext Kunst. Ausst.Kat. Kunsthalle Graz. Köln 1994

Daneben gibt es auch:
Regionale Eingrenzungen, z.B. Zeitzeichen. Stationen bildender Kunst in Nordrhein-Westfalen. Köln 1989.

Arbeitsfragen zur Documenta- Exkursion vom 30.6.-2.7.97

Was für ein Ausstellungstyp ist die Documenta generell: KuratorInnenausstellung oder Zeitschnitt? Hat sich etwas zu früheren Documentas verändert?
(Auch mit Blick auf die von uns geplante Ausstellung): Wie konstituiert sich das Verhältnis KünstlerIn - Kuratorin - Programm - Öffentlichkeit? Gibt es Unterschiede zu anderen Ausstellungen oder vergleichbaren Projekten?
Kassel bildet das Umfeld der Documenta. Was zeichnet diese Stadt aus? Wird diesem Umstand - außerhalb des Beitrags von Albert Pinkvohs in documents 3 - Rechnung getragen? Hat sich etwas verändert zu vorherigen Documentas?
Gibt es deutlich fassbare Theoreme? In welchem der Inszenierungselemente (z.B. Ausstellung selbst, Programm, Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit) sind sie besonders greifbar?
Verschiedene künstlerische Ausdrucksmittel werden in der Documenta eingesetzt. Gibt es hier so etwas wie einen Paragone, das heißt einen Wettstreit, welches denn die edelste der Künste ist?
Der Documenta IX wurden "too many sweeties" vorgeworfen (meinend sinnliche, humorvolle oder populäre Kunstwerke). Wie ist der Zuckergehalt diesmal ausgefallen? Gibt es Schlüsselwerke?
Catherine David hat im Vorfeld der Ausstellung entschieden vermieden, Namenslisten als Leitfaden zur Theoriebildung zu veröffentlichen, sondern in den "documents" entferntere wissenschaftliche und künstlerische Positionen zu Wort kommen lassen. Ist das - nach Betrachtung des Produkts Documenta - eine Grundsatzfrage oder ein Werbefeldzug?
Auf die Gefahr hin, (nationalen, geschlechtlichen, generationsspezifischen) Klischees zuviel Platz einzuräumen: gibt es Spuren der ihr von Karl-Heinz Schmidt vorgeworfenen "Pariser Lebensumstände von Catherine David"?
Documenten bekamen bislang häufig nachträglich interpretative Beinamen: Die Documenta der "individuellen Mythologien" 1972 (Harald Szeemann), die Medien-Documenta 1977 (Manfred Schneckenburger), die Documenta der Postmoderne oder der heftigen Malerei 1982 (Rudi Fuchs) usw. Wird diese Documenta einen Namen haben?


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