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Christine Schleiser
Grundsatzräume
Lucio Fontana, Yves Klein, Zero

Fragt man "was ist Raum?" und schaut im Lexikon nach, so kommt man zu unterschiedlichen Antworten. In der Physik war Raum ursprünglich die in drei zueinander senkrechten Richtungen ausmeßbare Leere. Vielleicht ist mehr oder weniger bewußt dieser Begriff der Ausgangspunkt für unser Seminar. Die Zeit als vierte Dimension des Raumes spielt in der Bewegung und im Licht (etwa bei den Zero-Künstlern eine große Rolle).

Es gibt aber noch viele weitere Raumbegriffe: in der Mathematik die abstrakten Raume, die aus vielen Dimensionen bestehen können, in der Psychologie etwa die Unterscheidung zwischen gedachtem und erlebtem Raum, in der Philosophie eine Vielfalt von Auffassungen. Unser Seminar hat bisher darauf verzichtet, einen Begriff von Raum und raumbezogener Kunst zu entwickeln. Die Definition eines Begriffes beinhaltet auch immer eine Abgrenzung.

Lucio Fontana (1899 - 1968) war ursprünglich Bildhauer. Er beschäftigte sich intensiv mit den Entwicklungen der Gesellschaft in Vergangenheit und Gegenwart und zog zusammen mit anderen Künstlern Konsequenzen aus den gewonnenen Erkenntnissen. Die Künstler veröffentlichten mehrfach Manifeste, in denen die Entwicklung einer vierdimensionalen Kunst gefordert wurde: "...Wir leben im Zeitalter der Physik und Technik. Bemalte Pappe und aufgestellter Gips haben keine Daseinsberechtigung mehr." (aus dem Weißen Manifest von 1946) Die Grundbegriffe der neuen Kunst sind Bewegung, Farbe, Zeit und Raum (Manifest tecnico dello Spazialismo von 1951).

Fontana verwendete entsprechend etwa Neonröhren, mit denen er Arabesken in den Raum "zeichnete" (Ambiente spaziale, auf der IX Triennale von Mailand 1951 gezeigt). Eine weitere Konsequenz seiner Überlegungen war die Öffnung der zweidimensionalen Leinwand durch das Messer. Es entstanden die Arbeiten zum "Concetto spaziale", die den Blick durch die aufgeschnittene Leinwand in den Raum dahinter möglich machten, aber auch die Auflösung der Fläche durch die aufgebogenen Ränder des Schnittes zur Folge hatten. Licht oder Dunkelheit schimmern durch den Schnitt; aufgeklebte Steine, Sand und Pailletten verstärken um die Wölbung der Leinwand am Einschnitt die Hinwendung zur dritten Dimension und zur Einbeziehung des realen Lichtes.

Yves Klein (1928 - 1962) interessierte sich auf eine ganz andere Weise für den Raum. Er war mystisch-religiös orientiert und zielte auf den immateriellen Raum ab. Seine blauen monochromen Leinwände waren durch intensive Experimente mit unterschiedlichen Farbaufträgen entstanden. Sie sollten im Betrachter ein Raumgefühl erzeugen. Das Bild selbst hatte sonst keine Bedeutung. "Die Malerei hat aufgehört, eine Funktion des Auges zu sein. Meine Arbeiten sind die Asche meiner Kunst." (Klein 1960)

Klein versuchte im Frühjahr 1958, nachdem seine blauen Monochromen bei Insidern hinreichend bekannt waren, eine Steigerung der Immaterialität seiner Kunst im Bewußtsein der Betrachter zu erreichen. Er gestaltete eine Ausstellung, bei der der ganze Ausstellungsraum vollkommen weiß war, möbliert nur mit einer leeren Vitrine und einem Vorhang vor dem Eingang. Zur Einstimmung erhielt der Besucher ein Glas mit einem blauen Getränk, welches ihn ganz vom Blau erfüllen sollte. Durch den Eintritt in die weiße Galerie sollte das Blau wie bei dem bekannten Phänomen der Nachbilder bewußt werden (Le Vide, Galerie Iris Clert, Paris, April 1958).

Die Immaterialität spielte auch bei seinen Arbeiten im Architekturbereich mit. In Gelsenkirchen gestaltete er das Foyer des Musiktheaters 1958 mit riesigen blauen Schwammreliefs, die über die Farbwirkung die Materialität der Mauern auflösen sollten. Zusammen mit Werner Ruhnau beschäftigte er sich intensiv mit Entwürfen und Experimenten zu einer Luftarchitektur. Sie entwickelten Feuer- und Wasserwände, Luftdächer und planten Wohnanlagen mit diesen Elementen.

Zero (ca. 1958 - 1963) war ursprünglich die Zone, in der sich Künstler der jungen Generation, die sich von der etablierten Kunst absetzen wollten, trafen. Später kristallisierte sich ein Kern mit den drei Künstlern Otto Piene (geb. 1928), Heinz Mack (geb. 1931) und Günther Uecker (geb. 1930) heraus, der schließlich anläßlich einer Zero-Ausstellung in Bonn 1963 Zero für aufgelöst erklärte.

Für die Künstler von Zero zählten Licht und Bewegung. Lucio Fontana war für viele ein geistiger Vater, Yves Kleins Monchrome wirkten ermutigend auf dem eigenen Weg. Das Weltraumfieber der damaligen Gegenwart wirkte auf die Namengebung der Gruppe: Zero stand für den Augenblick des Countdowns, in dem sich die Rakete vom Boden löst. "Zero ist die unmessbare Zone, in der ein alter Zustand in einen unbekannten neuen übergeht". (Piene 1964)

Zero war international. Es gehörten unter anderen dazu: aus Amsterdam Henk Peeters, Jan Schoonhoven und Armando, aus Mailand Lucio Fontana, Piero Manzoni, Enrico Castellani, aus Paris Yves Klein, Jean Tinguely und Arman.

Heinz Mack (in Zero 1, 24.4.1958): "Wenn wir von Malerei sprechen, so sprechen wir von Farbe. ... Ich gebe der Farbe eine Vibration, d.h. ich gebe der Farbe eine Struktur, oder: Ich gebe der Farbe ihre Form. ... Ein solches Strukturelement ist z.B. für mich die gewisse Parallelität einer Vielzahl von Geraden in vertikaler oder horizontaler Anordnung.... Die Parallelzonen haben nicht nur ein statisches, sondern auch ein dynamisches Sein. ... Die Bewegung vollzieht sich nicht nur auf der Fläche, sondern gerät auch auf den Betrachter hin in Schwingung."

Piene (in Zero 1, 24.4.1958) unterscheidet die unterschiedlichen Bedeutungen von Farbe: er nennt z.B. die Farbe als Ordnungswert. Der Himmel ist blau, die Erde braun. Die Farbe hat einen Stimmungswert (z.B. die blaue Stunde, der Blues) oder einen Sakralwert wie das Gold. Die Farbe in künstlerischen Bildern hat auch wieder verschiedene Werte. Sie kann selbständig sein, wenn sie nicht durch Imitationswerte (Materialillusion) gebunden wird. Die Farbe ist in ihrer ureigenen Sphäre, wenn ihr Lichtwert der bestimmende Wert ihrer Erscheinung ist, also möglichst losgelöst von z.B. Imitationswerten. Abhängig vom formalen Arrangement kann der Lichtwert als statische oder kinetische Energie erscheinen. Wird der Raumwert einer Farbe vermindert, bedeutet dies ein Erweitern der Dimension Zeit. Dies kann durch die Farben silber, weiß, gold und gelb geschehen.

Während Piene und Mack mit den Elementen Licht und Farbe in den Raum hineingingen, geschah dies bei Uecker konkret über die Nägel, die aus dem Bildträger in den Raum hineinragen. Licht und Schatten nahmen dabei Einfluß auf die Realität des Objektes.

Ein zentrales Projekt Macks war des Sahara-Projekt, eine Installation von Lichtobjekten verschiedener Künstler von Zero in einer abgelegenen Wüstenlage. Teilweise hat er das Projekt verwirklicht. Es ist dokumentiert in einer Fernsehaufzeichnung (Film von 1968, Tele-Mack) und in Fotos.

Mack wies ausdrücklich darauf hin , daß er mit diesem Projekt keinen surrealen Effekt einer Umweltsverfremdung anstrebte, sondern die Wüstensituation zur Steigerung der Vehemenz der Objekte einsetzte. Er war begeistert vom Ergebnis seiner Ansätze in der tunesischen Wüste und erkannte, "daß Raum und Licht zwar stärker sind, als meine artifiziellen Werke, daß aber (ihre) verhälnismäßig kleinen Konstruktionen die unendliche Weite des Raumes in sich reduzieren und die alles erfassende Helligkeit des Lichts artikulieren und intensivieren ... Ich sehe meine dialektische Auffassung bestätigt, daß Kunst - indem sie gänzlich artifiziell ist, nicht im Gegensatz zur Natur steht ..." (Mack, Heinz: Kunst in der Wüste. Starnberg 1969, S. 9.)

Otto Piene kommt über seine Rasterbilder und Rauchzeichnungen durch Experimente mit den Rastern, die er verwendete, auf die Lichtballetts, die den Betrachter räumlich mitten in das Objekt hineinversetzen. Er hielt in einem abgedunkelten Raum Lampen hinter Raster, so daß das hindurchscheinende Licht von der Wand reflektiert wurde und bewegte die Raster. ("Archaisches Lichtballett" von 1959, Düsseldorfer Galerie Schmela). Sein Traum ist dabei die Projektion von Licht in wirklich große Räume, in den Nachthimmel. "Am Himmel sind so ungeheure Möglichkeiten, und wir spazieren die Reihen im Museum entlang ..." Diese Vorstellungen hat Piene jedoch während der Zero-Zeit nicht verwirklicht. Pienes Lichtballetts sind zeitlich begrenzte Inszenierungen. Sie sind nicht auf einen bestimmten Raum festgelegt, sondern können an verschiedenen Orten wiederholt werden. Der Betrachter steht eindeutig im Mittelpunkt des Ereignisses.

Pienes Lichtballetts waren der Ausgangspunkt für den "Salon de lumière", in dem auch lichtkinetische Arbeiten von Mack und Uecker enthalten waren (gezeigt 1962 im Stedelijk Museum Amsterdam und im Palais des Beaux Arts in Brüssel, 1963 auf der vierten Biennale in San Marino, 1964 auf der documenta III in Kassel und während der deutschen Künstlerbund-Ausstellung im Haus Waldsee in Berlin).

Die Räume waren abgedunkelt, Scheinwerfer tauchten im Wechsel kinetisch angelegte, rotierende Nagelscheiben oder Dynamos punktuell in Licht, die es dann reflektierten. Es entstanden ständig sich verändernde Licht- und Schattenzonen, Hell- und Dunkelphasen. Die Objekte waren zunächst an den Wänden und frei im Raum aufgestellt. Später, 1964 in Kassel, wurden sie auch in einer Reihe aufgestellt, so daß sich ein regelmäßiger Eindruck ergab.

Ein großes, nicht verwirklichtes Projekt im Außenraum ist "Zero op Zee" (1965). Auf dem Pier von Scheveningen sollten mehrere eingeladene Künstler ihre Ideen frei verwirklichen können. Dazu gehörten unter anderen die Gruppen Zero und Nul, die Künstler Lucio Fontana und Hans Haacke und der Architekt Werner Ruhnau. Geplant waren unter anderem Ölfeuer auf Flößen, eine ständige Produktion schwarzer und weißer Dampfwolken, eine mobile Plastik aus 50 - 100 Bojen, Zero-Botschaften per Flaschenpost, Fernrohre, durch die Strand und Meer farbig verfremdet werden, eine "Flugplastik" (schwimmender Futterplatz für Möwen), das Meer als Ruhe- und Lichtzone (großflächige Abdeckung mit Silberfolie), Feuer-, Licht-, Rauch-, Wasserspiele.

Literaturliste:
Kuhn, Anette: Zero. Eine Avantgarde der sechziger Jahre. Frankfurt 1991
Im weißen Raum. Lucio Fontana, Yves Klein. Krefeld 1994. Ausstellung in den Museen Haus Esters und Haus Lange in Krefeld vom 6.11.1994 bis zum 5. Februar 1995
Messer, Thomas M.: Lucio Fontana. Retrospektive. Frankfurt 1996. Ausstellung in der Frankfurter Schirn Kunsthalle vom 6.Juni bis zum 1. September 1996
Piene, Otto / Mack, Heinz: Zero. Köln 1973
Meisterwerke der Kunst. Malerei von A-Z. Chur und Weert 1994
Stich, Sidra: Yves Klein. Stuttgart 1994. (=Ausst.Kat. Museum Ludwig Köln und Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen 1994)
Stachelhaus, Heiner (Hrsg): Yves Klein / Werner Ruhnau. Dokumentation der Zusammenarbeit in den Jahren 1957-1960. Recklinghausen o.J.
Stachelhaus, Heiner: Zero. Düsseldorf Wien New York Moskau 1993
Wember, Paul: Yves Klein. Köln 1972
Weitemeier, Hannah: Yves Klein. Köln 1994


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