Interaktion im Theater
Nina Popelarova 25.11.2003

Publikum (lat. publicus = öffentlich) - Zuschauer im Theater.
Antikes Theater: Publikum = alle Volksschichten (Sklaven ausgenommen); Römische Zeit: für alle offen (Konkurrenz zu Wagenrennen und Gladiatorenkämpfen)
Mittelalter: das Publikum = das ganze Volk
Renaissance: in England: Volkstheater <―> Rest von Europa: höfisches Theater
19. Jahrhundert: Publikum = das wohlhabende Bürgertum
20. Jahrhundert: Publikum = das "gebildete Bürgertum"

Das Verhalten des Publikums im antiken Theater

Chronemik: menschlicher Gebrauch, die Wahrnehmnung und die Manipulation von Zeit
Frühes Erscheinen: (+) Vortrag - besonders hörenswert, auf keinen Fall verpassen, Platz bekommen
Zuspätkommen: (-) Redner und Rede – für den Hörer unbedeutend
Vorzeitiges Weggehen, bzw. Aufstehen: (--) Ablehnung, Bruch fester Höflichkeitsregeln, radikale Form des Protestes
(Thema Zeitlichkeit in der Kunst: Ed Kienholz: "The portable war memorial" (1968) – /Tafel mit Kreide/; Museum Ludwig, Köln)

Proxemik: das räumliche Gegenstück zur Chromenik, umfasst den menschlichen Gebrauch, die Wahrnehmung und die Manipulation von Raum
Redner und Hörer: schon aufgrund der architektonischen Gegebenheiten (Rednerpodest, Sitzreihen usw.) getrennt - diese fest zugeschriebene Position (vor allem ihre Verletzung) = hoher Aussagewert 

Körperkontakt mit dem Redner:
Küssen – gebräuchlichste Berührungsform in der Antike
andere: Ablecken von Brust(!?), Küssen der Hände und Füße, Umarmen
(Vergleich: heute Rockkonzert od. z.B. Valie Export und ihr "Tapp- und Tastkino")

Sprachliches Verhalten: im wahren Sinne – nur an den Redner gerichtete ‚Akklamation’ (alles andere – parasprachliches Verhalten)
Akklamationen: fordernde, od. lobende Zurufe, oft wiederholt
Publikum: lange, komplexe Statements

Parasprachliche Äußerungen: akustische Äußerungen, an deren Hervorbildung der menschliche Sprechapparat zum Teil od. ausschließlich beteiligt ist, mit Ausnahme von verständlichen Wörtern und Sätzen
Lärm und Geschrei:Zwischenrufe durch viele Personen gleichzeitig; Reaktion auf überraschende Wendung des Geschehens; od. Protest, Bewunderung; auch Beifall
Gemurmel: Sprechen, das so leise, bzw. undeutlich ist, dass man es gar nicht, oder nur schwer versteht – Bedeutung: ähnlich wie Lärm: Übermittlung der Zustimmung, Bewunderung, Ablehnung
Weinen: in antiken Kulturen: Männer mehr "Freiheit" bezüglich des Weinens
Stöhnen: Entsetzen über das Erzählende <=> Lob für die lebhafte Darstellungsweise
Auszischen: s- und sch-Laut; Bekundung von Verachtung und Missfallen
Johlen: in antikem Theater = Auszischen, heute = Beifall
Schmatzen: Zeichen der Zustimmung, des Beifalls
Schweigen: Bedeutung von der Situation determiniert meist zwei Bedeutungen: Publikum zeigt dem Redner seine Aufmerksamkeit <=> Zeichen der Gleichgültigkeit, od. Ablehnung ("Rolle des Schweigens" in der Kunst –z.B. John Cage: "4’ 33")

Mimik: Gesamtheit der Bewegungen und Zustände des menschliches Gesichts, einer der wichtigsten Mittel der Kommunikation – stellt die Beziehung zum Gespächstpartner dar
Blickkontakt: in allen Kulturen: essentielle Möglichkeit, um die Beziehung zwischen zwei Partnern auszudrücken; wichtig beim Aufbau und Aufrechthalten der Kommunikation; in der Antike: Zeichen der Aufmerksamkeit = der Redner wird direkt ausgeschaut
Lachen und Lächeln: Antike: Angst vorm "sich lächerlich machen" – trotzdem: Lächeln = eine Art des Beifalls, bzw. hoher Grad der Anteilnahme andererseits: Überlegenheit und Verachtung gegenüber dem Vortragenden
Gähnen: organisch bedingter Ausdruck der Müdigkeit; aber auch Langeweile, Überdruss od. Verachtung

Gestik: die Gesamtheit aller Bewegungen einzelner Körperteile, insofern sie eine Botschaft übermitteln
Nicken:übliche Formen des ‚back-channel behavoir’, Rückmeldungsverhalten, d.h.: die Botschaft des Redners wird verstanden und akzeptiert
Klatschen: (nicht nur ‚Händeklatschen’); die üblichste Form des Beifalls
Handbewegungen: beid- und einhändige Gesten, vor allem im politischen od. sportlichen Kontext = Beifall
Einsatz der Oberkleidung: verschiedene Kleidungsstücke von sich zu werfen = Zeichen höchster Begeisterung
Steinwürfe:starke Missbilligung, oft politische Gründe - im Extremfall: Steinigung

Körpersprache: Haltungen, Orientierungen und Bewegungen, an denen der ganze Körper beteiligt ist, insofern sie kommunikative Funktion besitzen
Sitzhaltung: aufrechtes Sitzen = Zeichen der Aufmerksamkeit
Übereinanderschlagen der Beine, Senken des Kopfes, Verdrehen des Oberkörpers = Zeichen der Lässigkeit und Unkonzentriertheit
Aufspringen und Aufstehen: bei privaten Anlässen, auch im Bereich der Politik und Unterhaltung = Zustimmung, Beifall
Herumspringen, Tanzen:ausschließlich auf das Gebiet der Unterhaltung = positive Wertung

Die Mitgestaltung des rhetorischen Geschehens durch das Publikum - das Publikum in Aktion
Themenwahl: der Redner wendet sich an das Publikum – das wählt das Thema aus
Sprachenwahl: das Publikum kann in der Regel zwischen Latein und Griechisch wählen
Diskussion: da verschiedene Gebiete in den Vorträgen angesprochen werden – zum Schluss
intensive Diskussion und Interpretation von Texten
Szenenapplaus: unterbricht den Vortrag; nicht nur von emotionaler, sondern auch kompositionstechnischer Bedeutung
Interne Kommunikation: ‚normal’, aber – kann auch Desinteresse bedeuten,
Verbessern und Kritisiern des Redners während des Vortrags – führt zur Improvisation

Das Publikum im "modernen Theater"

Brechts episches Theater
Voraussetzung: Interesse an der freien Erörterung der Lebensfragen zum Zwecke ihrer Lösung
Publikum: aktiver Betrachter, kritischer Prüfer, produktive Kritik
Publikum: muss eigene Entscheidungen und Schlüsse formulieren, soll Erkenntnisse der realen Welt mitnehmen, gewinnt Einsichten über die Wirklichkeit, erfasst Wirklichkeit durch sein eigenes Urteil
Kritische, evtl. widersprechende Haltung den dargestellten Vorgängen als auch der Darstellung gegenüber

Das Spiel im Spiel (der verdoppelte Zuschauer)
Im Stück treten selber Leute auf, die anderen Leute zuschauen und zum Geschehen eine Stellung nehmen (bsp. bei Sheakespears "Sommernachtstraum").
(vgl.: "Bild im Bild": D.Velázquez: "Las Meninas"

Literatur
Angermeyer, Hans Christoph: Zuschauer im Drama, Frankfurt am Main 1971.
Korenjak, Martin: Publikum und Redner. Ihre Interaktion in der sophistisches Rhetorik der Kaiserzeit, München 2000.
Rischbieter, Henning (Hrsg.): Friedrichs Theaterlexikon, Hannover 1969.
http://www. Plaener.de/lessing/inf_9798/ms981_2.htm