Die Artotheken rücken zusammen
Dass der Verleih von Kunstwerken ein sehr interessanter und zukunftsweisender Weg ist, Menschen nachhaltig für Kunst zu begeistern, hat sich herumgesprochen. Auch wenn das klassische "Bild an der Wand" bei weitem nicht repräsentativ sein kann für das breite Spektrum heutiger Ausdrucksmittel, so ist gerade das weithin eingeführte gute Stück über dem Sofa günstig, als Schaufenster für Kunst jedweder Art zu dienen. Immerhin rund 140 Artotheken und Graphotheken in Deutschland und ca. 50 jeweils in Frankreich und den Niederlanden beschreiten diesen Weg der Kunstvermittlung. Auch wenn das keineswegs der Königsweg ist, um Finanzlöcher im Stadtetat zu stopfen, sondern eher Geld kostet, setzen zahlreiche Kommunen auf diese sinnvolle Form von Arbeit für die bildende Kunst. Die Tendenz ist verheißungsvoll: die Zahl der Neugründungen überwiegt die der Schließungen. Dass überhaupt Artotheken und Graphotheken geschlossen werden, liegt vor allem daran, dass sie ein hohes Maß an leidenschaftlichem (und oft ehrenamtlichem) Engagement aller Beteiligter erfordern, und das über eine lange Zeitstrecke.
Artotheken und Graphotheken sind vergleichsweise kleine Einheiten geblieben, die in der Regel unter dem Dach einer anderen Institution beheimatet sind. Das führt in der Konsequenz zu einer erstaunlichen Vielfalt von Orten für den Kunstverleih: in Bibliotheken kann man Kunst leihen, beim Kulturamt direkt oder in einem Kunstverein, im Museum oder als teilöffentliche Einrichtung einer Firma. Damit existieren auch zahlreiche Modelle für den Kunstverleih: von der musealen Sammlung bis hin zum galerie-nahen Verleihinstitut, von der regionalen Künstlerförderung bis zum international ausgerichteten Spektrum reicht die Skala der Möglichkeiten. Es war längst überfällig, diese Impulse zu bündeln und die reich vorhandenen Erfahrungen im Bereich der Kunstvermittlung untereinander auszutauschen. Daher haben sich deutsche Artotheken und Graphotheken im vergangenen Jahr zum "Artothekenverband Deutschland" zusammengeschlossen. Das gemeinsame Portal www.artothek.org führt deutschlandweit zu jedem einzelnen Institut. Und es ist erstaunlich, welches Netzwerk an Engagement für die Kunst sich da auftut, in welchem Umfang und wie lange bereits zeitgenössische Kunstwerke bereit gehalten und verleihen werden, welche Informationsfülle über regionale und internationale Kunst dort bereitliegt.
Für Künstlerinnen und Künstler verspricht dieser Zusammenschluss zahlreiche Vorteile: zunächst einmal wird der Kunstverleih und sein zentrales Anliegen der Kunstvermittlung in der Öffentlichkeit besser wahrgenommen. Daneben können Artotheken und Graphotheken in Zukunft ihr Anliegen einer intensiven Kunstförderung untereinander besser koordiniert wahrnehmen. Der intensive im Umgang mit Kunst ist das Ziel des Kunstverleihs, und er zahlt sich nicht erst dann aus, wenn ehemalige Entleiher mit den besten möglichen Gründen Kunst erwerben: weil sie deren Wirkung bereits erlebt haben und deshalb überzeugt sind, etwas erwerben zu wollen. Nicht wenige Künstlerinnen und Künstler interessiert auch, was denn "die Leute" (und das sind in diesem Falle nicht die professionellen Sammler, Künstlerkollegen, Galeristen oder Kunsthistoriker) zu ihrer Kunst zu sagen haben. Der Kunstverleih fasziniert vor allem Neugierige und solche Menschen, die sich nicht auf der Suche nach dem, was ihnen bildende Kunst zu geben vermag, auf "gesicherte Werte" oder schnelllebige Ereigniskultur beschränken wollen. Nicht zu unterschätzen ist der Umstand, dass Künstlerinnen und Künstler oft auch selbst zu den Entleihern gehören - und sich deshalb auch Werke von Kollegen für eine Zeitlang ausleihen.
Aktuelle Fragen
Momentan stellt sich für Artotheken und Graphotheken die ohnehin zentrale Frage der Kunstvermittlung auch auf elektronischem Weg. Zahlreiche Institutionen arbeiten an der elektronischen Erschließung ihrer Bestände, nutzen das Internet, um ihr Angebot publik zu machen. Und gerade hier erlebt der Kunstverleih häufig Hilfe und Förderung aus privatem Engagement heraus oder - wie beispielhaft in Schleswig-Holstein - durch die Landespolitik. Anfragen aus der Öffentlichkeit nach einer bequem handhabbaren und informativen Homepage gibt es genug, und auch die jüngeren Medien Video und CD eignen sich bestens für den Verleih - ganz im Gegensatz zu konzeptuellen oder raumbezogenen Ansätzen der vergangenen Jahrzehnte. Aber bei aller Sympathie den neuen elektronischen Möglichkeiten und ihrer weltweiten "Ausstrahlung" gegenüber: die Binsenweisheit, dass ein Kunstwerk vor allem im Original und durch die physische Präsenz wirkt, bestimmt nach wie vor ebenso stark die Überlegungen.
Auch für viele Künstlerinnen und Künstler bleiben Artotheken und Graphotheken noch zu entdecken. Nicht nur, weil sie als öffentliche Sammlungen Arbeiten erwerben und damit unmittelbar fördern, sondern auch als Stellen, in denen sich Informationen und Erlebnisse um zeitgenössische Kunst ansammeln. Nicht zu unterschätzen ist die Funktion von Artotheken und Graphotheken als Ausstellungsorte - die Entwicklung entsprechender Möglichkeiten vorausgesetzt. Und insbesondere ist der enge Kontakt zu den Entleihenden ein wesentliches Potential für die Zukunft, denn innerhalb einer immer stärker durch mediale Ereignisse bestimmten Erlebniskultur wiegt das, was man selbst gesehen und gespürt hat, künftig gewiss immer stärker.
Johannes Stahl
Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in: kultur politik 9/2001.