ARTHUR SEGAL: Kunstverleih und Gleichwertigkeitstheorie

Arthur Aron Segal wird am 13. Juli 1875 in Jassy, Ostrumänien, geboren. Er wächst als Sohn einer erfolgreichen jüdischen Familie in Botosani auf, einer reichen Geschäftstadt. Seine Eltern fördern Segals aufkommenden Wunsch Künstler zu werden nicht, da er die Bank der Familie weiterführen soll. Er fühlt sich unterdrückt. Bald geht er regelmäßig zum Sozialistischen Klub, der seine Ideale von Gleichheit, sozialer Gerechtigkeit und Frauenemanzipation vertritt und wo er vor allen Dingen Anerkennung findet. Im Jahr 1892 kommt er nach Berlin, erleichtert, dass er den Druck der Familie hinter sich lassen kann. 1904 heiratet Segal seine Cousine Ernestine. Das Geld ist knapp, oft finden sie Unterschlupf bei Ernestines Eltern, die ebenfalls in Berlin leben. Die Segals nehmen aktiv an der Berliner Kunstszene Teil, diskutieren über Kunst, Kunstbetrieb und Politik. Diese theoretische Phase ist in die Jahre 1905/1906 einzuordnen, die wohl auch seine Idee des Kunstverleihs hervorbrachte.

1910 gründet er mit 26 anderen Künstlern die "Neue Secession". In dieser Zeit lernt Segal die Berliner Kunstszene und den Kunstbetrieb genauestens kennen. Jedoch scheidet Segal 1912 aus der Neuen Secession wegen innerer Widersprüche aus.Als der erste Weltkrieg ausbricht, verlässt Segal Berlin, und geht gemeinsam mit seiner Familie -die bereits um Tochter und Sohn erweitert ist - nach Ascona, Schweiz. Dort, auf dem Monte Verita, leben viele Künstler, mit denen die Diskussion über Kunst weiter gehen wird.

Im Februar 1920 kehrt die Familie Segal wieder nach Berlin zurück. Segal tritt in die 1918 gegründete Novembergruppe ein und wird bald zum Vorstandsmitglied gewählt. 1921/22 wird die Novembergruppe zu einem Zweckverband, der Ausstellungen organisiert um die kritische wirtschaftliche Lage der Künstler zu verbessern. Denn durch die Inflation wird die finanzielle Situation der Künstler immer schlechter.
Die Idee des Kunstverleihs führt Arthur Segal 1924 mit dem Leserbrief an die Vossische Zeitung weiter. Er schließt sich dem Wirtschaftlichen Verein bildender Künstler (WVbK) an. Dieser kann im Jahre 1927 die Vermietung und den Ratenkauf von Kunst durchsetzen, was jedoch nicht Segals Vorstellung entspricht, da für ihn Kunst kein Luxusobjekt darstellt.
1933 flieht die Familie Segal vor den Nationalsozialisten nach Mallorca. 1936 verlassen sie Mallorca wegen des faschistischen Regime Francos und ziehen nach London, wo Arthur A. Segal am 23. Juni 1944 an Herzversagen stirbt.

Segals Manifest "An das Publikum"
Das Manifest "An das Publikum"(1905/1906) stellt eine erste Quelle dar, in welcher Segals Gedanken bezüglich des Kunstverleihs zum Ausdruck kommen. Obwohl er hier nur Gründe für ein "Unternehmen" nennt, welches er anscheinend in einer nicht mehr vorhandenen Beilage konkretisiert, handelt es sich hier wohl um den Kunstverleih. Denn insbesondere geht es um das "Publikum", welches durch dieses "Unternehmen" in seiner ganzen Breite die Möglichkeit haben solle, sich mit Kunst umgeben zu können. Dies ist ein Aspekt, der auch in späteren Reden oder Schriften Segals den Kunstverleih unterstützen soll:
"Mehr und mehr kommt es zum Bewußtsein eines jeden, daß die Kunst im Allgemeinen kein Luxus sei, den sich nur die Reichen leisten dürfen, sondern, dass die Kunst moralisierende, bildende Wirkung auf den Menschen ausübt und dass sie ein ganz hervorragender und bedeutender Faktor in der Erziehung und Bildung der ganzen Menschheit ist. Und wahrlich je mehr der Einzelne sich an Kunst und Schönheit gewöhnt, desto mehr entwickelt er sich, desto feiner wird seine Anschauung, desto menschlicher und gesitteter werden seine Handlungen. Es ist daher die bedeutsamste Pflicht eines jeden, zur Förderung der Kunst und dadurch zur Förderung der Sittlichkeit beizutragen."

Segal hat eine Möglichkeit gefunden, "die Kunst zu ihnen [den Menschen] zu bringen und für alle zusammen, die Möglichkeit sich mit Kunst zu umgeben so zu verbilligen, daß es sich fast ein jeder leisten kann, ohne natürlich daß dadurch die Künstler gezwungen sind für Hungerlöhne zu arbeiten, ja sogar im Gegenteil dies zu ermöglichen, daß die Künstler viel mehr von ihrer Arbeit haben und dadurch ermutigter und frecher schaffen können."
Das Manuskript "An das Publikum" stellt drei Aspekte besonders heraus:
1. Kunst für alle.
2. Kunst als "Sittlichkeit".
3. Die schlechte Lage des Künstlers.

Segals "Gleichwertigkeitstheorie"
Der Krieg war nicht nur Ursache für das Verlassen Deutschlands, sondern auch Grund für Segals Annahme, dass Kunst "den Nimbus, mit dem [er] sie umgeben hatte"(1) verlor: In "Mein Weg der Malerei" schreibt Segal rückblickend über seine Theorie der "Gleichwertigkeit". Der Krieg hat Segals Einstellung zur Kunst erheblich beeinträchtigt. Segals Glaube in die Kunst war so stark, dass er dachte, sie könne den Krieg verhindern. Als er aber feststellt, dass sie dies nicht vermag betrachtet er "ihr Wirken [das der Kunst] als bankrott". In "Mein Weg der Malerei" schreibt er: "Ich verlor die innere Beziehung zu ihr, da mir ihre ethische Notwendigkeit nicht mehr einleuchtete." Er wendet sich der Philosophie und der Religion zu, er beginnt zu schreiben, die "Malerei war nur noch eine äußerliche Gewohnheit".
"Meine Schreiberei, die mir gewissermaßen eine Zuflucht wurde, beschäftigte sich mit den Fragen nach den Ursachen der Konflikte zwischen Menschen und Völker und ich erkannte, dass der Drang der Einzelnen oder der Völker sich dem anderen gegenüber zu überordnen, sich als wichtiger zu betrachten, eine der Hauptursachen der Konflikte ist. Ich erkannte, dass die Natur solche Unterschiede nicht macht,... (...) Ich erkannte, dass die Wertungen, die wir vornehmen, Resultate unserer Unzulänglichkeit des Erfassens und des Verstehens des Lebendigen sind."
Die Notwendigkeit für ein friedliches und gerechtes Leben war demnach die "Gleichwertigkeit", in welcher es weder Über- noch Unterordnung gab. Dadurch ist es vielleicht gar nicht so verwunderlich, dass A. Segal mit der Gleichwertigkeitstheorie zur Malerei zurückfindet, indem er sie in das malerische Schema überträgt.

Dazu wendet er sich stark von der zentralistischen Komposition ab, denn "das Auge des Beschauers (sieht) sofort die Hauptsache in der Komposition und wenn es auch die Nebensachen betrachtet, so kehrt es immer wieder zum dominierenden Teil zurück." So beginnt A. Segal die Fläche der Leinwand in gleich große Abschnitte aufzuteilen - "wenn jeder Teil gleich wichtig, gleichwertig sein soll, so muss er auch gleich groß sein, denn ein großer Gegenstand erdrückt einen kleinen." Des Weiteren versucht er "durch Farbigkeits- und Helligkeitsunterschiede ein Gleiches zu erreichen" (2). Das heisst konkret, dass jeder Gegenstand von schwarz über eine bestimmte Farbe zu weiß übergeht. Dies soll nach Segal eine "objektive Belichtung symbolisieren in Gegensatz zu der Schattierung, die durch die Beleuchtung eines Lichtkörpers entsteht, die subjektiv ist."

Außerdem entsteht der bemalte Rahmen, da die "dezentralisierende Komposition der Gleichwertigkeit ... nicht abschließen (kann), da die Teile, die an der äußersten Seite der Bildfläche sind, ebenso dominieren, wie die in ihrer Mitte." Vielleicht ist der bemalte Rahmen auch als eine Gleichwertigkeit zwischen der bildimmanenten Welt und der sie umgebenden zu sehen.

Die Realisierung des Kunstverleihs
1924 nimmt Segal seine Idee des Kunstverleihs wieder auf - eben um die schlechte Lage der Künstler zu bessern. In einem Leserbrief an die Vossische Zeitung, der am 9. November 1924 erscheint (3), erläutert er auch das Verfahren für den Kunstverleih:
"Ein Verleihinstitut' veranstaltet monatlich Ausstellungen guter Kunst. Die Bilder-Abonnenten suchen sich die Bilder aus, die sie eine bestimmte Frist bei sich aufhängen wollen. Eine Speditionsfirma besorgt den Transport hin und zurück. Die Kunstwerke sind gegen Feuer und Schäden versichert. Der Abonnementspreis richtet sich nach der Zahl der Bilder, die man im Laufe eines Jahres auswechseln will. Die Rentabilität muß ausgerechnet werden, doch muß der Abonnementspreis gering genug sein, damit alle Schichten des Publikums sich abonnieren können, wodurch eine größere Verleihmöglichkeit entsteht. Der Künstler erhält für jedes verliehene Werk eine Leihgebühr durch das Institut. Somit bedeutet jedes verliehene Werk ein Kapital, das verzinst wird."
Die Idee des Verleihinstituts stelle eine Möglichkeit dar, die wirtschaftliche Lage der bildenden Künstler zu verbessern, so dass man der künstlerischen "Überproduktion" entgegenwirke, die dadurch entstehe "da keine Absatzmöglichkeit vorhanden ist". Dies wiederum sei in der "Freudlosigkeit und Hoffnungslosigkeit" des Künstlers zu sehen, welche das künstlerische Schaffen erlahmen. Der Kunstverleih werde dem Künstler Verdienstmöglichkeiten bieten, wodurch er "ermutigter und frecher schaffen" (4) könne.
Den Bilder-Abonnementen biete das Verleihen der Kunst natürlich auch Positives, weil sie künstlerisch anregt und schmückt. Das beschreibt Segal als einen durchaus gültigen Zweck des Kunstwerkes:
"Genauso wie man sein Zimmer schmückt mit Blumen, die man stets erneuert, sollte man die Wände schmücken, indem man die Kunstwerke erneuern kann. Durch die Erneuerung wird die künstlerische Anregung lebendig. Ein gekauftes Bild, das man eine Zeitlang hängen hat, verliert in den meisten Fällen an Interesse, und man sieht es nicht mehr, genau so wie man Möbel nicht mehr sieht."
Des Weiteren biete der Kunstverleih eine "intime Ausstellungsmöglichkeit", konkreter: "Man kann sich eingehender mit ihren Werken beschäftigen und wird manchem Werk gerecht, das in Ausstellungen nicht zur Wirkung kommt."
Segal geht hier auch auf den "Verbrauch" der Kunst ein, der bei einem Verleih nicht ausbleiben wird. Er vergleicht hier das Bild mit einem "Buch aus der Leihbibliothek, das durch viele Hände gegangen ist, und (...) ersetzt werden (muss)." Jedoch findet Segal auch darin einen positiven Zweck, denn dadurch "entsteht Produktionsmöglichkeit und für den Künstler Arbeitsfreudigkeit". Außerdem ermögliche der Kunstverleih dem Künstler "im Verkaufsfalle seine Werke billig abzugeben", da er ja durch die Leihgebühr des Instituts "nicht mehr allein auf einen Kauf angewiesen ist".
Leider setzt sich seine Idee nicht durch: 1927 kommt es zu einem Modell, das die Kunstmiete und den Ratenkauf fördern will. Nach wenigen Monaten scheitert es, weil es nicht wirtschaftlich funktioniert. Die Nachfrage nach den geliehenen Bildern bleibt aus und die von Segal so vehement und überzeugend vertretene Idee des Kunstverleihs verschwindet für einige Jahrzehnte aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit.

Literatur
Herzogenrath, Wulf / Liska, Pavel (Hgg.), Arthur Segal. 1875-1944, Berlin 1987, 384 S. - Hilberseimer, Ludwig, Arthur Segal, Berlin 1922.
Dietze, Horst, Aspekte des Kunstverleihs. Handbuch für die praktische Arbeit in Artotheken, Berlin (Deutsches Bibliotheksinstitut) 1986.
Dietze, Horst (Hg.), Über Kunstleihe und Bildereien. Berichte und Betrachtungen, Berlin (Deutsches Bibliotheksinstitut) 1982, S. 21 - 53.

Fussnoten
1 Segal, Arthur, Mein Weg in die Malerei, In i10, Nr. 4, Utrecht / Amsterdam 1 / 1927, S. 131 - 139; S. 135. Zitiert nach: Herzogenrath / Liska, S. 300.
2 Hilberseimer, Ludwig, Arthur Segal, Berlin 1922, S. 7; Kopie in: Herzogenrath / Liska (Anm. o.), S. 289.
3 Segal, Arthur, Bilderverleih-Institut, in: Vossische Zeitung, Berlin 9.11.1924; abgedruckt in: Dietze, Horst, Aspekte des Kunstverleihs. Handbuch für die praktische Arbeit in Artotheken, Berlin (Deutsches Bibliotheksinstitut) 1986, S. 130-132.
4 Segal, Arthur, An das Publikum, Berlin 1906 (?), 6 S., Leo Baeck Institute N.Y.; Kopie in: Herzogenrath / Liska, S. 260.

Laura Tammen