Multiple

Unter Multiple versteht man ein seriell nach Vorgaben des Künstlers industriell hergestelltes Objekt. Die Auflagenhöhe hängt ganz vom Künstler und seinem Konzept, teilweise auch von seinen finanziellen Mitteln ab. Multiples werden von Karl Gerstner als >Originale in Serie< und von Daniel Spoerri als >multiplizierte Originalwerke< bezeichnet, um Besonderheiten im Hinblick auf Original, Unikat und Reproduktion herauszustellen. Jedes Multiple aus einer Auflage ist ästhetisch, materiell und ökonomisch gleichwertig, es sind alles Originale und durch eine Unterschrift des Künstlers und durch die Auflagenhöhe und die Zahl des Objektes individuell gekennzeichnet.

Im Hinblick auf Verbreitung, Vermarktung und Repräsentation von Multiples ist Edition MAT von Daniel Spoerri und Karl Gerstner prägend. Begonnen hat alles 1957 mit der Zeitung "material" von Daniel Spoerri. Allerdings war diese Zeitung, welche sich mit ideogrammatischer Dichtung beschäftigte nicht sonderlich erfolgreich und erschien nur in vier Ausgaben. Im Sommer 1959 zog Daniel Spoerri dann nach Paris und setzte dort seine Idee von "material" in die bildende Kunst um. Er gründete die Edition MAT. Der Name setzt sich aus den Anfangsbuchstaben von "multiplication d `art transformable" (Vervielfältigung veränderbarer Kunst) zusammen. Gleichzeitig soll MAT aber auch als Abkürzung von "material" verstanden werden. Nur durch die aktive Beteiligung des Betrachters kommt die Aussage der ersten MAT-Objekte zu ihrer vollen Geltung. Der Betrachter soll seiner Phantasie freien Lauf lassen und aktiv den künstlerischen Akt mit vollziehen.

So zeigte die "collection `59" im November 1959 in der Pariser Galerie Edouard Loeb vorwiegend Multiples aus dem Bereich der Op-Art und der gerade aktuellen kinetischen Kunst. Bei fast allen ausgestellten Arbeiten handelte es sich um dreidimensionale Arbeiten, also um Reliefs oder um Objekte. Zentrale Idee der Edition MAT war es, die übertriebene Ehrfurcht vor einem Original abzubauen und statt dessen die geistige Leistung des Künstlers in den Vordergrund zu stellen. Außerdem wollte Spoerri Kunst für alle Menschen zugänglich machen, es sollte sich jeder ein Original leisten können, unabhängig von seiner finanziellen Lage. Zusätzlich wurde diese Idee durch Einheitspreise von 200 Francs unterstützt, wobei der Erlös zu gleichen Teilen zwischen Künstler, Verleger und Produzenten, später auch zusätzlich noch mit dem Galeristen, geteilt wurde.

Trotz des großen Erfolges der "collection `59", die in Galerien und Museen in Mailand, London, Krefeld, Stockholm und Zürich ausgestellt wurden, wollte Spoerri sie aus finanziellen, aber auch aus zeitlichen Gründen nicht weiter fortsetzen. Karl Gerstner hingegen, der in der "collection `59" mit ausstellte, war so überzeugt von der Idee der Edition MAT, dass er 1963 Spoerri überredete eine Fortsetzung zu veröffentlichen. Allerdings wollten sich Gerstner und Spoerri nur noch um die Auswahl der Künstler kümmern, die organisatorische und finanzielle Aufgaben sollte an eine dritte Person übergeben werden. Zusätzlich erweiterten sie das inhaltliche Konzept: die "collection `64" sollte unter dem Motto "Original in Serie" stehen und nicht wie bei der "collection `59" nur den transformierenden Aspekt abdecken. Dadurch konnten nun auch die Arbeiten der mittlerweile als Gruppe auftretenden "Nouveaux Réalistes" (Neue Realisten), in die Kollektion mit eingebracht werden. Für die formellen und organisatorischen Aufgaben, sowie den Verkauf und die Herstellung konnte Gerstner den Kölner Galeristen Hein Stünke gewinnen. Er hatte für die Produktion der Multiples beste Voraussetzungen, da er neben der Galerie "Der Spiegel" auch Werkstätten betrieb. Der Erfolg war beachtlich und die Kollektionen von beinahe allen Künstlern wurden fast komplett verkauft.

Ein Jahr später brachten Spoerri, Gerstner und Stünke schon die nächste Kollektion heraus. Zusätzlich enthielt die "collection `65" auch sechs Objekte der neuen Edition MAT MOT. Der Name MOT kommt von dem französischen Wort "mot" (Wort). Gerstner, Spoerri und Stünkes wollten in das Konzept der Edition MAT auch andere Bereiche außerhalb der bildenden Kunst mit einbeziehen.

Nach der "collection `65" trennten sich Gerstner und Spoerri von der Galerie "Der Spiegel" und verkauften die Rechte am Namen "Edition MAT" für eine symbolische Summe an Stünke. Diese Trennung hatte hauptsächlich finanzielle Gründe, da die Preisvorstellungen weit auseinander klafften, also die Galerie die ökonomischen Vorstellungen Spoerris und Gerstners nicht mehr unterstützen wollte. Noch im gleichen Jahr ließ Stünke "Edition MAT" als Markennamen eintragen und führte die Edition fort. Aufgrund der hohen Herstellungskosten verlief sich MAT allerdings sehr schnell, die letzte Kollektion wurde 1970 veröffentlicht. Gerstner und Spoerri wollten trotz der Trennung von Stünke die Arbeit an der Edition MAT nicht aufgeben. Da es nun allerdings ein eingetragener Markenname war, entstand der Name TAM Thek. TAM ist einfach die Umkehrung des Wortes MAT und Thek ist als Anlehnung an Bibliothek zu verstehen. Trotz neuem Namen setzten Gerstner und Spoerri ihr Vorhaben nie in die Realität um, da sie schon von anderen Projekten vereinnahmt wurden.

Heute sind Multiples zur gängigen Ware auf dem Kunstmarkt geworden, zu Auflagenobjekten, ganz im Sinne des Wortes Die heutigen Multiples werden immer noch billig gehandelt; die Idee Spoerris als gängige Möglichkeit hat sich auf dem Kunstmarkt durchgesetzt.

Anke Leyendecker

Literaturverzeichnis
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